Rezension “Superbusen”: Aber hier leben, nein danke?

Superbusen
Paula Irmschler
Hardcover | 320 Seiten | 20 EUR
Claassen Verlag, Berlin 2020
[https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/superbusen-9783546100014.html]

(aus: In/Press #9, November 2020)

Die Protagonistin „Gisela“ ergreift nach dem Abitur postwendend die Flucht aus Dresden – so weit, so gewöhnlich. Ungewöhnlich erscheint die geographische Fluchtlinie: Statt nach Westen geht es (noch weiter) Richtung Osten, und zwar nach Chemnitz (ehem. Karl-Marx-Stadt), wo an keinem einzigen Tag im Jahr ein ICE oder IC der Deutschen Bahn Halt macht, wie ein entsprechender Twitter-Account jeden Tag aufs Neue dokumentiert.

Ich komm’ aus Karl-Marx-Stadt/ Bin ein Verlierer Baby/ Original Ostler“ lautet es in einer der bekanntesten Hommagen an die drittgrößte Stadt des Freistaates Sachsen. Bundesweite Aufmerksamkeit erlangen neben der lokalverbundenen Rockband „Kraftklub“ vor allem Vorfälle mit Bezug auf die extrem rechte Szene, so beispielsweise die rassistischen Hetzjagden 2018 (an dieser Stelle setzt der Roman ein) oder die Nazi-Trauerfeier im Stadion des lokalen Fußballvereins Chemnitzer FC.

Und so verwundert es nicht, dass die Protagonistin in Paula Irmschlers Debütroman „Superbusen“ zunächst einmal schockiert war, als sie eines Tages erfuhr, dass ihre gute Freundin Fred „immer in Chemnitz gelebt“ hatte. In dieser Stadt, die für viele – auch für „Gisela“ am Anfang– maximal eine Zwischenstation sein soll. „Was glaubst du denn, was hier wird, wenn alle wieder abhauen? Es müssen doch Leute bleiben!“ entgegnet besagte Fred. Denn den Zurückgelassenen geht das #wirsindmehr-Gefühl, welches an einem Montagabend im September in der Stadt versprüht wird, häufig ab. Die Konfrontation mit Nazis ist Alltag in der Stadt, wenn gerade mal nicht Campino+Kapelle zum Protestlieder-Spielen vorbeikommen. Umso wichtiger, dass eben Leute sich engagieren, bleiben – oder nicht wieder gehen. Auch Gisela bleibt letztlich 7 Jahre in Chemnitz, und damit deutlich länger als geplant.

Die Protagonistin beschreibt gekonnt ironisch die Niederlagen, Enttäuschungen, aber auch schönen Momente des Lebens in Chemnitz als antifaschistische Person. Zu dieser Perspektive gehört auch die feministische: Die Thematisierung von alltäglichem Sexismus, Abtreibung, dem Umgang mit dem eigenen Körper. Dabei bedient sich Paula Irmschler einem popliterarischen Stil mit vielen Bezügen auf Musik oder Marken, in dem vorher vor allem viele langweilige Jungs ihre Debütromane verfassten.

Superbusen“ langweilt jedoch an keiner Stelle, was auch daran liegen mag, dass auf die genretypische affirmative Haltung verzichtet wird. Das Buch formuliert lieber radikalen Widerspruch und leistet neben dem erwähnten Plädoyer fürs „Bleiben“ noch erstaunliches: Man möchte der Autorin fast glauben, dass ein Bosse-Track der ultimative Soundtrack des Liebeskummers ist.