[Paintbucket Games, ca. 15 Euro]
(aus: In/Press #7, Februar 2020)
In Videospielen ist der 2. Weltkrieg Schauplatz von First-Person-Shootern wie Wolfenstein oder Strategiesimulationen wie Hearts of Iron. Nazis und Alliierte sind meist einfach zwei spieltechnisch ausbalancierte Teams, deren Zugehörigkeit man wählen kann. Hat man die Spielmechanik verstanden ist mit etwas Übung und Zeit der Sieg der eigenen Seite als Belohnung sicher. Through the Darkest of Times ist anders. Das Indie-Spiel ist nun nach über 5 Jahren Entwicklungszeit beim kleinen deutschen Studio ‚Paintbucket Games‘ erschienen und macht von Anfang an im Intro klar, dass es nicht um zentristische Hufeisen-Überparteilichkeit bemüht ist:
„Als Adolf Hitler 1933 zum Kanzler ernannt wurde, jubelten die Massen – aber wir nicht. Wir wussten, dass nun schlimme Zeiten anbrechen würden. Wir wussten, dass die Drohungen der Nazis keine leeren waren. Dass sie meinten, was sie sagten. Wir mussten etwas tun! Wir durften nicht schweigen! Aber wir wussten auch: es kann uns den Kopf kosten.“
In Through the Darkest of Times spielt man eine Widerstandsgruppe in Nazideutschland. Der Anfangs zufällig erstellte Charakter hat nicht nur ein eigenes Aussehen, sondern auch Beruf und politische Ausrichtung, sowie Eigenschaften wie Empathie, Propagandatalent und Verschwiegenheit. Mit bis zu 4 weiteren Mitstreiter*innen – die erstmal angeworben werden müssen – gilt es zu entscheiden, wie der Widerstand gegen das Regime aufgebaut werden soll.
In 4 Kapiteln zu je 20 Wochen (Machtergreifung 1933, Olympische Spiele 1936, Zweifrontenkrieg 1941, Kriegsende 1945) weisen wir auf einer Karte Berlins jedem Mitglied unserer Gruppe eine Aufgabe zu. Diese bauen aufeinander auf, sind unterschiedlich gefährlich und sind nicht von jeder Person gleich gut zu erledigen. Reden wir etwa mit einem ehemaligen Gewerkschafter, so können wir Arbeiter*innen agitieren und in Kreuzberg Spenden einsammeln. Dies ermöglicht uns weitere Aufgaben, bringt etwas Geld für künftige Aktionen und hebt die Moral der Gruppe. Diese fällt jede Woche kontinuierlich und darf nicht zu weit sinken, da die Gruppe ansonsten aufgibt. Mit dem gesammelten Geld lassen sich beispielsweise Farbe und Papier für Graffiti und Flugblätter kaufen. Während diese Aktionen von kommunistischen, anarchistischen oder sozialdemokratischen Arbeiter*innen besonders gut durchgeführt werden können, lassen sich andere Aktionen von liberalen Künstler*innen, monarchistischen Beamt*innen oder konservativen Katholik*innen besser und mit weniger Risiko ausführen. Dazu gehört nicht nur das Reden mit dem Pastor oder Geschäftsleuten, sondern auch Undercoveroperationen und Sabotage. Nicht immer gehen diese Aktionen reibungslos über die Bühne: Mit der Zeit steigt der Auffälligkeitslevel eurer Mitstreiter*innen und die Gefahr steigt bei der Durchführung der Aktionen verwundet, festgenommen oder getötet zu werden. Nach 20 Wochen endet ein Kapitel. Eure Gruppe muss sich aufgrund der Repression in den Untergrund begeben und beginnt Jahre später wieder (fast) bei Null.
Eingerahmt wird diese Aktionsplanung von Zwischensequenzen, in denen ihr innerhalb eurer Gruppe oder mit Nachbar*innen und Freund*innen diskutiert oder Situationen wie etwa Überfälle auf jüdische Menschen oder die Vereidigung des Nachbarjungen in der Hitlerjugend miterlebt. Stets müsst ihr entscheiden, wie ihr reagiert: Die Tarnung aufrecht erhalten oder beherzt eingreifen? Diese Szenen sind historische Begebenheiten oder dem Alltag im Nationalsozialismus nachempfunden. Die Ästhetik des Spiels ist schwarz-weiß gehalten, nur wenige Farben werden eingesetzt, bspw. für Augenfarbe oder Blut. Im Hintergrund laufen zeitgenössische Swingmusik oder Widerstandslieder. Diese Ästhetik wirkt durchaus bedrückend, macht aber nicht den Fehler die Ästhetik des Nationalsozialismus zu imitieren und zu glorifizieren. Die Grafik wirkt holzschnittartig und düster, nicht etwa grandios und mächtig wie Szenen aus einem Film Leni Riefenstahls.
Nach gut 6 Stunden Spielzeit ist auch das 4. und letzte Kapitel abgeschlossen: Der Krieg ist vorbei und eure Widerstandsgruppe trifft sich ein letztes Mal, um sich zu schwören, den Widerstand aufrecht zu halten bis der Nationalsozialismus Geschichte ist. Sie fragen sich – und damit dich – ob sie genug getan haben. Ob nicht mehr nötig und möglich gewesen wäre, die industriell organisierte Menschenvernichtung zu stoppen.
Und hier wird die ganz große Stärke und mutigste Entscheidung von Through the Darkest of Times sichtbar. Es nutzt die gewohnten Genre-Spielmechaniken aus, um die Schwierigkeit und Unwegbarkeit des Widerstands zu zeigen. Es stellt Moral, Geld und Gefolgschaft als bloße Zahlen dar, von denen wir gewohnt sind, dass ihre Maximierung einen Spielerfolg verspricht, doch dieses Versprechen löst das Spiel nicht ein: Spielen wir zu vorsichtig, läuft uns die Zeit für große Aktionen, die über die Überlebenssicherung der Gruppe hinausgehen, davon. Spielen wir zu risikoreich, setzen wir die Aktionsfähigkeit, Gesundheit und auch das Leben unserer Gruppe aufs Spiel, und kommen so auch nicht dazu, die langwierigen Vorbereitungen für große Aktionen zu treffen.
Das Spiel präsentiert uns große Taten um das NS-Regime zu stoppen, doch kommt es nie zu deren Ausführung. Begnügen wir uns damit, Einzelschicksale gerettet zu haben? Die Wahrheit ausgesprochen zu haben? Überlebt zu haben? Sind im Nachhinein die vielen Dialogoptionen des Spiels weitestgehend unerheblich gewesen – waren sie nur Mittel zum Zweck uns als Spieler*innen dazu zu zwingen, uns in die Szenen des Spiels zu versetzen und Entscheidungen zu treffen, die Menschenleben retten oder kosten können? Dies mindert den Wiederspielwert des Spiels aber keinesfalls. Es gibt genug Zufallsereignisse, Charaktere und Aktionsmöglichkeiten, dass bereits der zweite Spieldurchlauf trotz gleicher Rahmengeschichte anders verläuft. Und die Hoffnung, doch einen Einfluss auf die Geschichte nehmen zu können, lässt nie ganz nach…
Through the Darkest of Times ist das erste Spiel, welches trotz Darstellung von Hakenkreuzen und anderer historischer Symboliken der Nazis eine Alterseinstufung ab 12 Jahren von der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ bekam. Dies geschah aufgrund der Einbettung in einen historischen, antifaschistischen und ernsthaften Kontext. Aufgrund dessen ist das Spiel für Schüler*innen und Antifaschist*innen jeden Alters absolut zu empfehlen und bringt nicht nur bekannte, sondern auch eher unbekannte Ereignisse des Nationalsozialismus näher. Das Design der Spielmechanik macht die Unwegbarkeit und Gefährlichkeit des Widerstandes gegen das Hitlerregime mitsamt seinen Widersprüchen erlebbar und erfahrbar.
Through The Darkest of Times ist ab sofort ohne Kopierschutz oder DRM für etwa 15€ bei gog.com herunterladbar. Lohnt sich!