[Taika Waititi, Walt Disney, 108min.]
(aus: In/Press #7, Februar 2020)
Darf man denn jetzt endlich über Hitler lachen? Eine komische Geschichte, die in der Zeit des Nationalsozialismus spielt zu erzählen, ist nicht die einfachste Aufgabe. “Jojo Rabbit” umgeht eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, indem er ihn einfach als fiktives Setting für eine liebenswert erzählte Geschichte macht, in der Hitler nur eine Einbildung und alle Deutschen doof sind.
Charlie Chaplin machte sich in seinem Klassiker “Der große Diktator” über Nazideutschland, Adolf Hitlers Auftreten und seine Egomanie noch zu dessen Lebzeit lustig, indem er ihn persönlich auf der Leinwand als egomanische Witzfigur mit jüdischem Doppelgänger darstellte – dies jedoch später bereute, als das Ausmaß der systematischen Menschenvernichtung mit seinen Todeslagern ihm offenbar wurde. In Roberto Benignis “Das Leben ist schön” hingegen werden klamaukige Szenen zwischen Papa und Sohn stets von der Brutalität des Todeslagers eingerahmt. Sympathisch werden nur die jüdischen Insassen des Lagers gezeichnet, nicht etwa die deutschen Aufseher. Auch andere Regisseur_innen haben sich an Komödien mit Nazi-Setting versucht – meist mit eher bescheidenem Erfolg.
Nun versucht Taika Waititi – Regisseur des Marvel-Blockbusters “Thor: Tag der Entscheidung” – sich an einer Komödie in Nazideutschland und spielt die Rolle des (imaginären) Hitlers gleich selbst. Der Film ist ein Erfolg an den Kinokassen und war für den Oscar als bester Film 2020 nominiert. Kann dieser Film auch aus antifaschistischer Perspektive überzeugen? Ist Waititi als Hitler lustig?
Kurz vor Kriegsende 1945: Der 10-jährige Johannes “Jojo” Betzler (Roman Griffin Davis) lebt zusammen mit seiner Mutter Rosie (Scarlett Johansson) in der fiktiven deutschen Kleinstadt Falkenheim. Sein Vater ist in Italien an der Front, seine Schwester Inge kürzlich verstorben. Jojo ist fanatischer Hitlerjunge und überzeugt von der Überlegenheit der arischen Rasse. Da er hingegen eher klein und schüchtern ist und seine liebevolle Mutter – die ihm immer noch die Schuhe zubinden muss – nur Spott für seinen Eifer übrig hat, spricht er wenn er sich den ideologischen Anforderungen nicht gewachsen sieht mit seinem imaginären Freund in Gestalt Adolf Hitlers. Dieser ist zwar selbst eher ein aufgedrehtes Kind, jedoch ermutigt er ihn an sich selbst als starken deutschen Jungen zu glauben.
Dies wird ihm schnell zum Verhängnis, als er mit seinem dicklich-trotteligen Freund Yorki (Archie Yates) ein Jugendlager der Nazis unter dem kriegsversehrten aber selbstverliebten Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell) besucht: Um nicht als Schwächling darzustehen schleudert er beim Granatenwurftraining die Granate engagiert gegen einen Baum, von dem diese abprallt und vor seinen Füßen detoniert. Er überlebt, hat jedoch Narben im Gesicht, ein hinkendes Bein und noch weniger Selbstbewusstsein als vorher. Statt Schulbesuch sitzt er nun den ganzen Tag allein zu Hause, da seine Mutter arbeitet und nach Feierabend noch “lange Spaziergänge” macht, bei denen sie hinter dem Rücken ihres Sohnes Anti-Nazi-Propaganda verteilt.
Aus Langeweile erkundet er das Haus und findet in einer Zwischenwand die junge Jüdin Elsa (Thomasin McKenzie), welche ihn aber davon abbringen kann sie zu verraten, da seine Mutter sonst getötet wird und Elsa ihm natürlich den Kopf abbeißen wird – sie ist ja Jüdin. Jojo beschließt Elsa nicht zu verraten, sofern sie ihm Rede und Antwort über das gefährliche Wesen des Juden steht um darüber ein Buch zu schreiben. Hiervon erhofft er sich Anerkennung der örtlichen Nazis, so dass sie ihn trotz seiner Gesichtsnarben und Hinkebeins ernst nehmen und über die versteckte Jüdin hinwegsehen. Dass Elsas Ausführungen lediglich antisemitische Phantasien sind – Juden hätten bspw. Hörner und schlafen wie Fledermäuse an der Decke – bemerkt er nicht, bestätigen Sie doch seine Vorstellungen. Statt an die Stärke der Nazis glaubt Elsa an die Stärke der Liebe, womit Jojo jedoch wenig anzufangen weiß.
Je länger Elsa und seine Mutter Jojo versuchen seinen Fanatismus für Nazideutschland auszutreiben und sich nach Frieden sehnen, desto unfreundlicher wird sein imaginärer Freund Adolf zu ihm. Jojo beginnt jedoch Elsa trotz ihres Jüdischseins zu mögen und diskutiert mit ihr nunmehr neben Juden auch über die Liebe und das Leben.
Spätestens wenn die alliierten Truppen zur Befreiuung Falkenheims anrücken muss Jojo sich entscheiden, ob er sich weiter hinter seiner Nazi-Phantasie versteckt, oder zur Einsicht kommt und sich seine Zuneigung zu Elsa eingesteht. Gar nicht überraschender Spoiler: Am Ende tritt er den imaginären Hitler aus dem Fenster und tanzt mit Elsa in einem befreiten Nachkriegsdeutschland.
Waititis Film funktioniert über weite Strecken gut, was vor allem an seinem Protagonisten Jojo liegt. Davis spielt diesen glaubhaft naiv, schüchtern und liebenswert. Sein Hitler-Fanatismus ist im Film schnell als Flucht vor der eigenen Angst und Unsicherheit erkennbar – oder wie Elsa es später ausrückt: Er ist “nur ein 10-jähriger Junge, der Hakenkreuze und Uniformen mag und gerne Teil einer Gruppe sein möchte”.
Der Soundtrack und die gesamte Ästhetik des Films unterstreichen dies: Zur deutschen Version des Beatles-Tracks “I Wanna Hold Your Hand” marschieren Hitlerjungen und Mädel, Falkenheim 1945 sieht idyllisch und farbenfroh aus – nicht etwa zerbombt und trist. Alle Deutschen sind trottelige, einfältige aber stets gut gelaunte und aufgedrehte Charaktere. Sie bieten die Fläche für klamaukige Dialoge, die bewusst so gar nicht in die dargestellte Zeit passen.
Waititi zieht über sie her und lässt keine Sympathie oder Bewunderung aufkommen, kritisiert sie aber auch nicht oder macht sie für den Nationalsozialismus verantwortlich. Sie alle wurden nur von Hitler verführt, und natürlich darf der dann doch herzensgute Deutsche in Gestalt von Hauptmann Klenzendorf am Ende auch nicht fehlen.
Waititis Hitler tritt bei allem gar nicht so sehr in den Vordergrund, sondern reiht sich nahtlos in die Reihe der überdrehten Trottel ein. Er ist entgegen der Erwartung nur eine Randfigur – das schlechte Gewissen Jojos. Er spielt diesen Part eher wie Jim Carrey als Charlie Chaplin, aber drückt dem Film weit weniger seinen Stempel auf als Jojo, Rosie und Elsa. Letztere zeigt der Film nicht etwa als passive Opfer, sondern als schlagfertige, widerständige Antifaschistinnen – im Gegensatz zu den Nazis auch sensibel und mitfühlend.
Der Großteil des Films ist überzeichnet, albern und klamaukig – insbesondere der Anfang im HJ-Camp. Dabei hat der Film durchaus seine starken Momente, wenn die Komödie mit der historischen Realität kollidiert. Etwa, wenn Jojo von seiner Mutter gezwungen wird, die erhängten Dissidenten anzuschauen und auf seine Frage was diese getan hätten diese antwortet: “was sie konnten”. Oder wenn beim Einmarsch der Alliierten nicht nur die Erwachsenen, sondern auch seine 10-jährigen Altersgenossen bewaffnet den Kugeln entgegenrennen, während seine NS-Euphorie vom Anfang des Films in ganz weiter Ferne ist.
Dies macht “Jojo Rabbit” zu einer doch unterhaltsamen Komödie, welche die Coming-Of-Age Geschichte eines Jungen erzählt, der aus Selbstunsicherheit und Fantasie einem falschen Stärke-Ideal folgt und durch die Kraft der Liebe letztendlich zur Einsicht kommt und ein schönes Leben vor sich hat.
Das Setting Nazi-Deutschland bietet hier jedoch nur die Bühne für ein Feelgood-Movie. “Jojo Rabbit” umkurvt die größten Fettnäpfchen und schafft es viele Albernheiten durch die gute Besetzung und liebenswerte Charaktere zu kaschieren. Einen Zugang zum Nationalsozialismus, ein Erfahrbahrmachen des Grauens kann (und wahrscheinlich will) der Film aber nicht wirklich bieten.