Keine Liebesgeschichte.
(aus: In/Press #7, Februar 2020)
Gerade in dem Jahr, in dem sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 75. Mal jährt, ist Gedenkkultur in einem größeren Fokus als üblich. Im Januar 2020 konnte sich die bürgerliche Gesellschaft einmal mehr selbst auf die Schulter klopfen und Vertreter*innen aller größeren Parteien klarstellen, dass die Shoa sich nicht noch einmal wiederholen dürfe. Aller größeren Parteien? Yes, auch die AfD zieht da mit. Natürlich war ihr zum Gedenken der Befreiung von Auschwitz erstmal wichtiger festzuhalten, dass der ADAC sich dem linksgrünen Zeitgeist anpasst, aber für ein Statement auf der Homepage hat es dann doch gereicht.
Dass der Partei wichtiger ist, sich gegen einen progressiven politischen Wandel zu äußern und dann das Gedenken zu thematisieren, ist zwar zynisch-humoristisch auch im Internet von Formaten wie der Heute Show geteilt worden, es lassen sich jedoch auch zwei wichtige Punkte ableiten, die mehr sind, als bloße Empörung darüber. Einmal zeigt es, dass der Partei bewusst ist, dass sie nicht ganz ohne solche symbolische Gedenkpolitik auskommen kann und sie sich trotz ihrer Basis und Wähler*innen zumindest ab und an gegen die Verbrechen des Nationalsozialismus positionieren muss und zugleich, dass ihr das jedoch nicht wirklich etwas bedeutet. Ein Lippenbekenntnis, ganz klar. Aber es ist auch ein Baustein der angestrebten Diskursverschiebung.
Denn als relevante Partei auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene wird die Partei nicht selten zu Gedenkveranstaltungen verschiedenster Hintergründe eingeladen und hat gleichzeitig die Möglichkeit über Förderungen von Gedenkstätten und Projekten der Erinnerungskultur mitzubestimmen. Und das nutzen sie auf allen Ebenen.
Bewaffnet mit Hufeisen und Blumengesteck
Solche Gedenkveranstaltungen werden zum politischen Kampffeld erklärt, um das Gedenknarrativ umzuschreiben. Gegen den vermeintlichen „Schuldkult“ und die, von ihnen unterstellte, Einseitigkeit des Gedenkens. Eigentlich seien schließlich die Deutschen ebenfalls große Opfer des Zweiten Weltkriegs: Zu Unrecht aus ihrer ostpreußischen Heimat vertrieben, aus den deutschen Städten gebombt, der Siegerjustiz der Alliierten auf den Rheinwiesen und in Nürnberg ausgesetzt. Das ist ihr Verständnis von dem Leid des Nationalsozialismus. Es wird nicht als Reaktion auf die Verbrechen gesehen, die von Deutschland aus in die Welt gebracht wurden, sondern es werden gefälschte und manipulierte Opferzahlen willig übernommen, wie man es zuvor vor allem von alteingesessenen Neonazisstrukturen kannte.
„Ich gehe von etwa 100.000 Opfern aus“, sagte Tino Chrupalla, AfD-Bundessprecher im Spiegel. Wenig wissenschaftlich begründete er das mit den Aussagen der Großeltern: „Meine Oma, mein Vater und andere Zeitzeugen haben mir von vollen Straßen vor dem Angriff und Leichenbergen nach der Bombennacht berichtet.“ Überprüfbar sind 25.000 Menschen, die im Zuge der Bombardierungen Dresdens rund um den 13.02.1945 ihr Leben lassen mussten. Alice Weidel gedachte 2,5 Millionen Deutschen, die von der Roten Armee in eisiger Kälte vertrieben wurden.
Abgesehen davon, dass die russische Botschaft das nutzte, um ihr bei Twitter nahezulegen, noch einmal darüber nachzudenken, warum die Rote Armee denn vorrücken musste, passiert hier eine Relativierung der Verbrechen des 2. Weltkriegs. Die Deutschen wären Opfer und keine Täter*innen, daher solle ihnen in gleicher Weise gedacht werden. An und für sich sogar mehr als den anderen Opfern, denn es handele sich schließlich um Deutsche.
Und die Verbrechen des Nationalsozialismus seien natürlich ärgerlich, dennoch nur ein „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“, wie Alexander Gauland ja bereits anmerkte. Im Nachhinein entschuldigte er sich halbherzig für diese dumme Aussage. Aber das ist ganz normaler Umgang der AfD mit untragbaren Fehlern. Eine kleine Revidierung danach ist egal, wenn man den Diskurs davor beeinflussen und klarmachen konnte, wo man wirklich steht.
Allein der Kampf um Opferzahlen macht deutlich, wie man aufzeigen möchte, dass die Rote Armee das wirkliche Problem war. Der militärische Arm des Kommunismus sozusagen, der Deutschen nur Unglück brachte und beweist, dass der Kommunismus an sich eine verbrecherische Idee sei. Das beliebte Instrument der Totalitarismus- bzw. Extremismustheorie, die Vorstellung eines Hufeisens mit Kommunismus und Nationalsozialismus an den beiden sich annähernden Enden, wird hier bedient, um die „politische Mitte“ abzuholen und ihnen aufzuzeigen, wer der wahre Feind sei. Das fällt gerade im bürgerlichen Spektrum von CDU und FDP durchaus auf fruchtbaren Boden. Die Wahlen in Thüringen zeigen, dass man dort einen linkssozialdemokratischen Ministerpräsidenten von der Partei Die Linke für genauso schlimm hält, wie einen Björn Höcke.
Die Sache mit dem „Schuldkult“
In der AfD wird vielfach ein politischer Kampfbegriff genutzt, den sie sich aus dem Neonazi-Milieus der 1980er und 90er Jahre entliehen haben: „Schuldkult“. Diesem hat man den Kampf angesagt und das funktioniert auch sehr gut, denn sie holen damit jene Menschen ab, die nicht verstehen, welche Lehre eine Gesellschaft aus den Verbrechen des Nationalsozialismus ziehen muss. Viel zitiert sagte Theodor W. Adorno: „Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen.“ Daraus lässt sich ganz klar ableiten, dass es in der Verantwortung unserer Gesellschaft liegt, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen. Es wird niemandem eine Mitschuld unterstellt, der nicht alt genug war um Verbrechen im Nationalsozialismus begangen oder unterstützt zu haben. Natürlich nicht, nur eben diese nachträgliche und zukünftige Verantwortung.
Doch das verstehen viele Menschen nicht, beziehungsweise wollen sie es gar nicht verstehen. Es reicht ein Blick in Kommentarspalten im Internet, bei denen sich hunderte solcher Reaktionen sammeln. Und genau diese Leute werden von der AfD abgeholt. Eins der bekanntesten Zitate von Björn Höcke beschäftigt sich eben damit: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Schande statt würdiges Gedenken an die begangenen Verbrechen, das ist die Geisteshaltung, die dort vorherrscht und die von der AfD aus in die Mitte der Gesellschaft drängt.
Einen beispielhaften, traurigen Höhepunkt fand diese Entwicklung bei einer Führung im ehemaligen KZ Sachsenhausen, wie die Gedenkstätte berichtete: „Es gab im vergangenen Sommer im Juli einen Vorfall. Es waren Gäste, die aus dem Wahlkreis der AfD-Bundestagsabgeordneten Alice Weidel zu einem Bildungsbesuch nach Berlin reisten. Und aus dieser Gruppe heraus haben einige wenige Teilnehmer von Anfang an diese Führung gestört. Den Referenten permanent unterbrochen, hinterfragt was er erzählt, um die NS-Verbrechen zu verharmlosen, angebliche Verbrechen der Alliierten angeführt. Bis dahin, dass sie die Massenmorde in Sachsenhausen und die Gaskammer infrage gestellt haben.“
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt
Die Infragestellung der Verbrechen innerhalb der KZs ist nicht neu in der rechten Szene. Holocaustleugnung ist dort eine Königsdisziplin, die immer wieder vermeintliche Märtyrer*innen schafft, die aufgrund ihrer Aussagen zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt werden. Da ist mit Ursula Haverbeck die bekannteste Vertreterin das Maskottchen der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“.
Ähnlich wie bei Kriegsverbrecher*innen, die erst im hohen Alter verurteilt werden, weil die Justiz vorher zu langsam arbeitete, wird bei Leuten wie ihr argumentiert, dass alte Menschen nicht mehr mit Gefängsnisstrafen belegt werden sollten. Positionen, die auch in der AfD nicht unüblich sind und vor allem bei ihren Anhänger*innen Rückhalt findet. Es vermischt sich damit die Ideologie der extremen Rechten mit den realpolitischen Forderungen und Ideen der AfD. Eine gefährliche Kombination, die sich auch darin wiederfindet, dass Förderungen von Gedenkstätten und Erinnerungsorten eingestellt oder von Vornherein nicht bewilligt werden sollen, Diese Forderungen werden lauter und politisch gefährlicher mit jeder Stimme, die vonseiten der AfD für sich gewonnen wird.
Der Geschäftsführer der Stiftungs niedersächsischer Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, berichtet darüber, dass auch immer mehr Schulklassen historische Tatsachen infragestellen. Als Beispiel nennt er eine Klasse bei dem Besuch des ehemaligen KZ Bergen-Belsen. Dort kamen Fragen auf, die zum Beispiel die Zahlen der Opfer anzweifelten. Wissenschaftlich erforschte Zahlen leugnen? Genau das Tagesgeschäft der AfD und nicht nur, wenn es darum geht, die Zahlen der deutschen Toten hochzutreiben. Schließlich kam heraus, dass die Klasse auf die Besichtigung von einem Lehrer vorbereitet wurde, der auch AfD-Mitglied ist. „Der hat die Jugendlichen offenbar angestachelt, mit bestimmten Fragen zu provozieren.“ so Jens-Christian Wagner.
Es wird antifaschistische Intervention benötigt
Diese Entwicklungen sind fatal und besorgniserregend. Daher erfordert das Verhalten der AfD acuh auf dem Feld der Erinnerungspolitik einen starken antifaschistischen Widerstand. Es darf der AfD keinerlei Raum gegeben werden. Ein Blick direkt vor die eigene Haustür zeigt, wie wichtig das ist. In Braunschweig gab es nun zum zweiten Mal eine Konfrontation bei der Gedenkveranstaltung zu der Befreiung von Auschwitz in der Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße. Dort organisiert die Stadt ein jährliches Gedenken, bei der auch die AfD-Fraktion des Stadtrats eingeladen wird. Diese nutzte das wiederholt, um sich selbst zu inszenieren. Leider wurde auch von der Gedenkstätte selbst kein Hausverbot erteilt, was zum Beispiel in der Gedenkstätte Buchenwald anders geregelt wird. Dort heißt es klar, „dass Vertreter der AfD an einer Gedenkveranstaltung an diesen Orten nicht teilnehmen, solange sie sich nicht glaubhaft von den antidemokratischen, menschenrechtsfeindlichen und geschichtsrevisionistischen Positionen in ihrer Partei distanzieren.“
Ein solcher Schritt ist wichtig. Ein solcher Schritt sollte auch selbstverständlich sein. Ist er leider nicht. Und bei den bürgerlichen Parteien weiß man auch nie, ob man sich auf sie verlassen kann, wenn es um gelebten Antifaschismus geht. Man muss notfalls skandalisieren, laut sein und den Raum nehmen, denn sonst können die Politiker*innen der AfD sich weiterhin selbst inszenieren und ihre relativierende Geschichtsschreibung weiterführen. Getarnt mit einem leise geflüsterten „Nie wieder“, setzen sie sich genau so weit gegen das Vergessen ein, wie es nötig ist, um nicht direkt die Maskerade fallen zu lassen. Um schließlich im selben Atemzug, wie der AfD-Landtagsabgeordnete Mario Lehmann aus Sachsen 2019, festzustellen: „Der 13.02.1945 war auch ein Holocaust, der sich über eine ganze, wehrlose Stadt ergossen hat.“ Eine solche Aussage, die auch direkt von Nazikadern von Die Rechte oder dem III. Weg stammen könnte, finden durch eine Tolerierung der AfD bei Gedenkveranstaltungen ihren Platz im Diskurs.
Der AfD muss dieser Raum genommen werden. In Brandenburg sieht deren Landtagsabgeordneter Christoph Müller den 8. Mai nicht einmal als Feiertag: „Der 8. Mai 1945 ist für uns Deutsche ein Grund nachzudenken, aber kein Grund zu feiern. War er ein Tag der Befreiung, war er doch kein Tag der Freiheit für uns.“ Bisher noch ganz unerwähnt bleibt das würdige Gedenken der Opfer, die unumstritten für die AfD gar nicht ins ideologische Weltbild passen. Der AfD-Politiker David Christoph Eckert verhöhnte in der Gedenkstätte Ravensbrück einen Gedenkstein für lesbische Opfer mit den Worten: „Ob es wohl auch bald eine Gedenkstätte für Linkshänder gibt, die im KZ umgekommen sind?“ Und mit Rom*nja beschäftigt sich die Partei nur als Feindbild ihrer Hetzpolitik.
Rosen auf den Weg gestreut
Jede weitere Tolerierung streut „Rosen auf den Weg“ der AfD, wie es in einem Gedicht von Kurt Tucholsky mit Rückblick auf die Entwicklungen der 1920er-Jahre heißt. Sie kann voranschreiten durch das falsche Verständnis von Toleranz der bürgerlichen, liberalen, konservativen Kräfte und damit mehr nachhaltigen Schaden anrichten, als man bei der Betrachtung der einzelnen Vorfälle erahnen mag. Wenn eine Journalistin der Braunschweiger Zeitung ihren Kommentar zu den Protesten gegen die Teilnahme eines Stefan Wirtz bei der Gedenkveranstaltung mit „Auftreten der Antifa stört das Gedenken“ betitelt, zeigt sich die Ratlosigkeit des bürgerlichen Lagers beim Umgang mit der AfD. Wer protestiert und ein Zeichen gegen der Faschismus setzt, wird in dieser Lesart zum Problem gemacht, statt klare Kante zu beweisen und sich selbst dafür stark zu machen, dass die AfD dort keinen weiteren Platz findet. Eine traurige Bankrotterklärung, die zeigt, dass Antifaschismus zwar von allen abgenickt wird, niemand aber weiß, was dieser Begriff wirklich bedeutet und was es heißt, diesen praktisch werden zu lassen. Im besten Fall ist es Unwissen und nicht Absicht. Auch das wird sich in den kommenden Monaten mehr und mehr herauskristallisieren.
Ebenso kann die radikale Linke den Diskurs beeinflussen und in der Rolle müssen wir unnachgiebig weiter aktiv sein und die Raumnahme der AfD verhindern. Das ist ein Teil der Verantwortung, die wir übernehmen und der wir gerecht werden müssen!
Ein Versagen in diesem Bereich ist nicht nur eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch fatal für die Zukunft.