Eine Woche, 3 mal Karl-Marx-Stadt

Eindrücke und Schlussfolgerungen

(aus: In/Press #3, Oktober/November 2018)

Wie wichtig eine breite und wirksame antifaschistische Arbeit ist, zeigte sich dieser Tage schlaglichtartig am Beispiel Chemnitz.

Nach einer spontanen Kundgebung von „Pro Chemnitz“, welche den Tod von Daniel H. instrumentalisierte, ziehen Rassist_innen durch die Chemnitzer Innenstadt. Es kommt zu Jagdszenen und Übergriffen. Einige wenige stellen sich diesen in den Weg. So etwa Rola Saleh, eine Sozialarbeiterin aus Chemnitz: Sie wird daraufhin am helllichten Tage körperlich angegangen. Die Polizei versagt an diesem Tag auf ganzer Linie, Politiker_innnen – wie Michael Kretschmer, Ministerpräsident Sachsens – leugnen dies und sprechen später davon, dass es keine Hetzjagden gegeben habe. Es tauchen Videos auf, die Jagdszenen an diesem Tag dokumentieren. Hans Georg Maaßen, zu diesem Zeitpunkt Verfassungsschutzpräsident, bezweifelt die Echtheit eines Videos in einem Interview mit der BILD, welches eine Jagdszene zeigt. Es seien „gezielte Falschinformationen“. Später rudert er dann halbherzig zurück, er sei falsch verstanden worden. Wenn es nicht so traurig und zu einfach wäre, könnte mensch sagen: „Sucksen“ eben und vom Inlandsgeheimdienst ist eh nichts anderes zu erwarten. Aber eins nach dem anderen.

Aufgrund der pogromartigen Stimmung und Hetzjagden am Sonntag, d. 26. August, fuhren einige Kurzentschlossene direkt am Montag nach Chemnitz, um sich den Rassist_innen in den Weg zu stellen. Dass dieses Vorhaben letztlich zum Scheitern verurteilt war und die Handlungsspielräume für Linke äußerst gering waren, zeigte sich schnell und dürfte sich weitestgehend herumgesprochen haben. Daher hier die Ereignisse nur in Kurzform: In Chemnitz angekommen, war die einzig bekannte, sichere Anlaufstelle die Gegenkundgebung von „Chemnitz Nazifrei“ im Stadthallenpark. Begleitet von Reden verlagerte sich die Aufmerksamkeit jedoch schnell Richtung des Karl Marx Monumentes, dem Treffpunkt der durch „Pro Chemnitz“ angemeldeten Kundgebung. Gelabelt war diese zwar als Trauerveranstaltung für den Verstorbenen, vor Ort erinnerte allerdings nichts an eben solch einen Anlass: ein wilder Mix aus etwa 5.000 Rechten, von „besorgten“ Anwohner_innen über Fußballhooligans bis extra angereiste Nazikader. Solidarische Grüße an die mutige Person, welche versuchte ein Banner unmittelbar vor Kundgebungsbeginn mitten aus dem Nazihaufen zu entfernen und dabei leider abgegriffen wurde.

Getrennt durch ein minimales Aufgebot der sächsischen Cops, wurde auf der Gegenseite die Stimmung durch rassistische Reden angeheizt. Als diese nun anschließend zu einem Rundgang ansetzten, kam es zu Böller- und Flaschenwürfen auf unsere Versammlung. Zwei Wasserwerfer fuhren daraufhin auf und drängten sich zwischen die gegenüberstehenden Gruppen. Die Rassist_innen konnten an diesem Abend problemlos ihre Route laufen, auch kam es später noch mehrfach zu (versuchten) Übergriffen auf Antifas. Ein Dank sei an dieser Stelle an eben jene – circa 1000 – Antifaschist_innen gerichtet, die mit auf der Straße waren und sich so aktiv wie die Umstände es zuließen gegen eine Wiederholung des Vortages stellten.

Ehrlicherweise muss aber auch gesagt werden: Dieser Montag war für die Nazis und ihre Mitläufer_innen ein Heimspiel und ein klarer Erfolg, der sich bereits vor Ort und rückblickend betrachtet dann auch in den folgenden Wochen in Form von zahlreichen rassistischen und faschistischen Attacken manifestierte.

Am folgenden Samstag sollte das Kräfteverhältnis vor Ort zumindest etwas anders aussehen und auch um die antifaschistische Bewegungsfreiheit war es deutlich besser bestellt. Die Chemnitzer Zivilgesellschaft und vor allem Mobilisierungen aus Dresden, Leipzig, Halle sowie vielen weiteren Städten bundesweit brachten rund 4.000 Menschen auf die Straße und auch aus Braunschweig machte sich eine größere Reisegruppe auf den Weg.

In der Chemnitzer Innenstadt hatte die Polizei dieses Mal nach der massiven Kritik an ihrer Untätigkeit so einiges an Material und Personal aufgefahren. Unzähligen Hamburger Gittern, Wasserwerfern und Bullenreihen zum Trotz konnte sich eine Menschenblockade auf einem Teilstück der geplanten Strecke der Faschistenaufmärsche von AfD und „Pro Chemnitz“ bilden und diese massiv verzögern. Formal getrennt angemeldet, vereinigten sich die beiden rechten Kundgebungen vor Ort relativ schnell und formten einen gemeinsamen, viele tausend Personen umfassenden Demozug. Jener kam allerdings aufgrund der Blockade und eigener organisatorischer Schwierigkeiten nur langsam vom Fleck und wurde schließlich ganz gestoppt. Um eine bürgerliche Fassade bemüht, gaben die prominenten AfD-Politiker klein bei und beendeten ihre Kundgebung, was bei dem Fußvolk jedoch für reichlich Unmut sorgte. Angeführt von organisierten Nazigrüppchen (unter Braunschweiger Beteiligung) wurden nun zahlreiche Journalist_innen attackiert, ohne dass die anwesende Polizei richtig eingriff.

Dass letztere auch anders können, wenn sie denn nur wollen, zeigten sie parallel auf der anderen Seite; sie griffen am Rande der Kundgebungen eine Gruppe aus hunderten Linken an und kesselten sie über Stunden hinweg ohne ersichtlichen Grund unter dem Vorwand des Landfriedensbruchs. Die cleveren Kids protestierten gegen diese Maßnahme und ließen sich nicht einfach zur erkennungsdienstlichen Behandlung bitten – mit Erfolg. Denn um Punkt 22 Uhr hatten die Cops offenbar selber keinen Bock mehr und brachen ihr schikanöses Vorhaben ab.

Und so hieß es dann endlich in der Dunkelheit der anbrechenden Chemnitzer Nacht: FEIERABEND! (Auch wenn es nur wenig zu feiern gab.)

Am nächsten Montag Abend veranstaltete ein Bündnis unter dem Namen „#wirsindmehr“ ein Open Air Konzert in Chemnitz, auf dem u.a. KIZ, Feine Sahne Fischfilet, die Toten Hosen und Kraftklub spielten. Es kamen etwa 65.000 Menschen, um wahlweise ihre Lieblingsband endlich mal live zu sehen, ein symbolisches Zeichen zu setzen, oder ganz praktisch für einen Tag den Rechten den Raum zu nehmen und setzten damit das von den Veranstalter_innen erhoffte Zeichen gegen die rechten Aufmärsche der vorigen Tage.

Klar: Dieses Großereignis war ohne Frage ein Event. Mit Eventpolitik erzielen wir sicher nicht den breiten antifaschistischen Widerstand, der in der Lage ist, eine Hegemonie zu erreichen, die dem faschistoiden Denken und Handeln vieler etwas nachhaltig entgegensetzt. Dieses Event allerdings deshalb direkt zu verteufeln und alle Anwesenden gleich mit, offenbart wiederum eine recht arrogante und bornierte Haltung.

Viele unterschiedliche, meist junge Menschen haben sich an diesem Tag auf den Weg gemacht und sind nach Chemnitz gefahren, sie haben dafür vielleicht Urlaub genommen oder ihre Freizeit umgeplant. Diesen Aufwand haben eine große Anzahl von ihnen sicher nicht nur der kostenlosen Konzerte wegen auf sich genommen sondern auch, weil sie sich mit dem übergeordneten Ziel der Veranstaltung identifizieren konnten. Im schlechtesten Fall haben sie also „nur“ einen netten Tag mit ihren Lieblingsmusiker_innen verbracht,im besten Falle positive Erfahrung mit Formen des antifaschistischen Protestes gemacht. Und ganz ehrlich: Besser Feine Sahne, Nura & K.I.Z als Frei.Wild, Fler & Andreas Gabalier.

Natürlich war das Publikum bei diesem Event nicht frei von Widersprüchen zum Anlass und dem antifaschistischen Bild, das die Reden von Aktivist_innen und die doch zumeist erfreulich klaren Ansagen der Acts vermittelten: So wurde mehrfach betont, dass aktuelle soziale Schieflagen in der Gesellschaft in der Verantwortung der herrschenden Politik liegen und nicht, wie vom rechten Mob vor Ort behauptet, an Menschen, die Schutz und Sicherheit suchen. Stattdessen geht es darum, gemeinsam eine bessere Gesellschaft zu gestalten und rechter Hetze auch ganz praktisch entgegenzutreten.

Wenngleich die Parole #wirsindmehr nicht nur im Chemnitzer Alltag eher Wunsch als Realität darstellt und auch die Frage aufwirft, wer genau eigentlich dieses „wir“ so sein soll, ist das Konzert als niedrigschwelliges Gegenangebot allemal begrüßenswert.

Sehen wir diese Veranstaltung also doch etwas realistischer: Ein in der Größe durchaus bemerkenswertes, weitestgehend symbolisches Zeichen, dass „wir“ – wenn schon nicht wirklich mehr – dann immerhin noch nicht komplett allein und im Arsch sind.

Bleibende Erkenntnisse aus dreimal Chemnitz in einer Woche:
Kurzfristige Feuerwehr-Antifapolitik bleibt leider weiterhin bzw. umso dringender notwendig, die Maxime „Pogrome verhindern, bevor sie entstehen“ ist aktuell wie eh und je.

Eine verbindliche mittel- bis langfristige Organisierung ist unumgänglich, um den Handlungsspielraum der von Erfolgen berauschten Naziszene wieder einzuschränken und zugleich eigene Perspektiven für progressive Entwicklungen zu stärken.

Darüber hinaus müssen wir die vielfältigen Kämpfe erkennen und zusammenführen, bestehende Projekte auch in der Peripherie unterstützen und neue starten. Beginnen wir damit hier vor Ort, Tag für Tag!