[Marc-Uwe Kling, 384 Seiten (Hardcover), Ullstein Verlag, 18€]
(aus: In/Press #2, April 2018)
Willkommen in QualityLand formely known as Deutschland. In diesem Land hat der Fortschritt die Gesellschaft grundlegend verändert und die Digitalisierung ist endgültig angekommen. Marc-Uwe Kling, bekannt durch seine WG mit einem Känguru, liefert hier sein neuestes Buch ab und bleibt dabei höchst politisch. Ein Glück, gibt es doch auf dem deutschen Buchmarkt mit Charlotte Roche, Benjamin von Stuckard-Barre und Rocko Schamoni genug gute Autor_innen, bei denen am Ende das unerträgliche Sein der gelangweilt-avantgardistischen Mittelschicht im Fokus steht und es eben einen solchen Kleinkünstler braucht, der sich der Thematik auf eine andere Art und Weise annimmt.
Wir verfolgen in dem Buch Peter Arbeitsloser, der gerade einen schweren Sturz im gesellschaftlichen Ranking hinnehmen musste. Ranking-System? Genau, was sich in China momentan im Testlauf befindet, ist in QualityLand schon der Standard. Jeder Mensch hat seine Bewertung und damit ist auch klar, mit wem man zusammenkommt und mit wem man sich lieber gar nicht erst abgeben sollte. In dieser Welt gibt es nur noch die Totalität des Fortschritts und ein paar verrückte „Maschinenstürmer_innen“[1] am Rande, die sich komplett von der Technologie loslösen wollen. Das System weiß, was man kaufen will, auch wenn man das gar nicht will. So liefert „TheShop“, das QualityLand-Pendant zu Amazon, ungefragt den Menschen die Ware, die sie bestimmt haben möchten. Damit beginnt auch das große Abenteuer von Peter, welcher mit einem delfinförmigen Dildo ein Produkt geliefert bekommt, was er partout nicht will, und sich auf den beschwerlichen Weg macht, dies umzutauschen.
Zugleich stehen in QualityLand Wahlen an, bei denen die beiden Alternativen eine rechtspopulistische und rassistische Partei auf der einen Seite und auf der anderen Seite ein Android sind. Dieser Android zeigt sich den in seinem Entwicklungsstatus den Menschen als überlegen an, will aber zugleich zu deren Wohle handeln. Auch die immer wieder sozialkritische Stimme unseres liebsten maoistischen Kängurus findet somit über Umwege einen Platz in „QualityLand“.
Das Buch setzt weniger auf Pointen als die bekannten Vorgänger, ist der rote Faden für die Handlung doch viel bedeutender als zuvor. Das schadet dem Ganzen allerdings überhaupt nicht, sorgt aber dafür, dass nicht jede einzelne Seite direkt zum Lachen animiert. Die Handlung, vor allem das Abenteuer von Peter Arbeitsloser selbst, ist in der Problemlage nicht anders, als die angesprochenen Belanglosigkeiten der Helden und Heldinnen von Schamoni & Co. Sie gewinnt jedoch an immenser Bedeutung, je klarer wird, in welcher Welt er eigentlich handelt und wie wenige Entwicklungsschritte wir eigentlich noch von dieser dystopischen Welt der kompletten Überwachung und des allgegenwärtigen Bewertens entfernt sind. Zugleich lässt sich das Ganze auch gut lesen, ohne dass man direkt diese Verbindungen zieht.
Das ist eine Qualität von Marc-Uwe Kling, da er es schafft wichtige Themen so zu verpacken, dass viel mehr Menschen damit erreicht werden, als es bei einem reinen Politbuch der Fall wäre. Dieser Weg, den er seit seinem Debüt geht, ist hilfreich für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den beschriebenen Kernelementen. Das Buch selbst gibt es in zwei Editionen, dabei fällt das dunkle mit derberem Humor auf als die helle Edition. Innerhalb der eigentlichen Handlung sind beide gleich, doch gibt es farblich hervorgehobene Seiten, welche bei den skizzierten Dystopien unterschiedlich weit gehen. Die dunkle Ausgabe ist also die volle Packung Gruseligkeit, die andere dann eher geeignet für Menschen, die nicht komplett erschlagen werden wollen von dem Szenario.
„Bitte bewerten Sie mich jetzt“ ist ein immer wiederkehrender Wunsch in der Welt von Peter Arbeitsloser und QualityLand. So denn: Für alle Fans des Kängurus ist eine Empfehlung vollumfassend auszusprechen, denn wer einmal den Zugang zu dem Stil Klings gefunden hat, wird auch hier wieder einmal abgeholt. Alle anderen sollten vielleicht erstmal durchblättern, denn der Schreibstil ist nicht für alle geeignet – die Message lohnt allerdings, es zumindest zu probieren. Kurzweilig ist es letztlich auf jeden Fall, das Ende weckt auch den Wunsch nach mehr.
Und zum Glück scheitert Deutschland gerade weiterhin sehr an der Digitalisierung, so dass wir noch Hoffnung darauf haben können, dass die Welt sich anders entwickelt, als im Buch beschrieben.
[1] „Maschinenstürmer“ protestierten im 19. Jhd. gegen die sozialen Folgen der Industrialisierung, indem sie Maschinen & Fabriken sabotierten.