Zurück in die Zukunft?

Zwischen Konservativer Revolution, „Neuen Rechten“ & alten Verbindungen (Teil 1)

(aus: In/Press #1, September 2017)

Seit einiger Zeit geistert der Begriff ‚Neue Rechte‘ durch zahlreiche Artikel, Dokumentationen und auch antifaschistische Publikationen. Je häufiger er Verwendung findet, desto seltener scheint noch klar, was damit eigentlich beschrieben werden soll.

Nicht zuletzt aus diesem Grund hatten wir uns als Gruppe entschlossen, im Juni zu dem Thema eine selbstorganisierte Veranstaltungsreihe auszurichten, die den Versuch unternahm, ein klein bisschen Licht ins Dunkelbraune zu bringen. Ein Teil der Erkenntnisse aus den drei Vorträgen soll hier noch einmal zusammengedampft in Textform aufbereitet werden. Im ersten Teil werden zunächst die zentralen Netzwerke & Akteure dargestellt, in der nächsten Ausgabe folgt eine Analyse ihrer Ideologie, Strategien und Diskurse.

Begriff & Definition

Ganz grundsätzlich können drei Bedeutungsebenen ausgemacht werden, welche mit der Bezeichnung ‚Neue Rechte‘ verbunden sind: Erstens eine historische als Abgrenzung gegen eine Alte Rechte, zweitens eine ideengeschichtliche im Rückbezug auf Vertreter der ‚Konservativen Revolution‘, sowie drittens eine organisatorische Ebene, die sich in gemeinsamen Strategien, Handlungsmustern und Zielsetzungen ausdrückt.

Der Begriff ‚Neue Rechte‘ selbst ist alles andere als neu. Schon seit dem Zweiten Weltkrieg werden Rechte, die sich nicht in unmittelbarer Folge der NSDAP sehen (oder gesehen werden wollen), als ‚neu‘ bezeichnet. Besonders verstärkt wurde im Zeitraum Ende 1960er bis Anfang 1970er das Aufkommen einer ‚Neuen Rechten‘ attestiert.

Im Gegensatz zur medialen Öffentlichkeit, die bis heute mit dem Begriff so unterschiedliche Formationen wie die Ende der 1980er aufstrebende Partei ‚Die Republikaner‘ bis hin zu neonazistischen ‚Autonome Nationalisten‘ Mitte der 2000er bezeichnete, hat sich in der Fachdebatte jedoch über die Jahrzehnte eine etwas engere Definition durchgesetzt, die gemeinsame, besondere ideologische und rhetorische Grundelemente umfasst. Dazu zählt auch der Versuch, ‚unbelastet‘ an die Tradition der ‚Konservativen Revolution‘ sowie völkischen Ideen anzuknüpfen und damit einen Neuanfang von rechts zu rechtfertigen. Damit bewegen sie sich als Grenzgänger in der Grauzone zwischen konservativer Radikalisierung und rechtsextremer Modernisierung mit dem Ziel diese Grenzen zu verwischen.

Das Ziel der so umrissenen ‚Neurechten‘ besteht somit im Entwurf einer rechten Ideengeschichte, die Forderungen nach homogener Gemeinschaft und neuem Nationalismus wieder legitimieren können soll. Zentral ist dabei ein Verständnis des Politischen nicht als Ort der Gestaltung sozialer Verhältnisse, sondern als Feld eines schicksalhaften Wirkens höherer Mächte, als fortwährendes Kampfgeschehen. Gabriele Kämper bringt das Selbstbild und die gewünschte Praxis dieser selbsterklärten Eliten treffend auf den Punkt:

Die Neuen intellektuellen Rechten präsentieren sich als angriffslustige und selbstbewusste Tabubrecher, die sich von vermeintlichen Denkverboten oder einer als übermächtig imaginierten linksliberalen Medienwelt nicht einschüchtern lassen. […] Strategisches Ziel ist es, eine kulturelle Hegemonie neurechten Denkens zu etablieren. Dazu gehört, sich nicht am rechten Rand zu bewegen, sondern in die Mitte der Gesellschaft hineinzuwirken. Diese Praxis lässt sich anhand personeller Netze, individueller Lebensläufe und des publizistischen Radius der Akteure nachvollziehen.“ (2005: 53)

Netzwerke

Insbesondere durch die Arbeit der beiden Grundpfeiler der ‚Neuen Rechten‘, der ‚Jungen Freiheit‘ (JF) und des ‚Instituts für Staatspolitik‘ (IfS) ist das Spektrum der ‚Neuen Rechten‘ in den letzten Jahren gewachsen, wenngleich der Kern der Akteure übersichtlich bleibt – was nicht zuletzt an ihrer (pseudo)elitären Haltung liegen dürfte.

Dennoch wäre es vorschnell, die ‚Neue Rechte‘ und ihre Wirkungsmacht auf diesen überschaubaren Kreis an wenigen zentralen, in viele neurechte Projekte zugleich involvierten Protagonist_innen zu verkürzen, da es ihre strukturelle Einbettung in die gesellschaftlichen und politisch-kulturellen Diskurse verkennt.

Ihre Öffentlichkeitsstrategie zielt auch immer auf das Erreichen von Multiplikator_innen aus der sogenannten ‚Mitte‘ der Gesellschaft ohne Berührungsängste nach rechtsaußen unter dem einigenden Band der Ablehnung von Gleichheit, Marxismus und Feminismus.

Neben der Unterstützung durch die Thilo Sarrazins dieser Welt steht das Erzeugen medienwirksamer Aktionen zur Popularisierung der Botschaften im Vordergrund. Dafür sind aktionistischere Gruppen wie die ‚Identitäre Bewegung‘ zuständig, die Verbreitung der produzierten Bilder übernehmen szeneeigene Medien, die der neurechten Forderung nach einer ‚neutralen‘ medialen Gegenöffentlichkeit Ausdruck verleihen.

Publikationen

Das Feld der unterschiedlichen Publikationsorgane, die im weiteren Sinne der ‚Neuen Rechten‘ zugerechnet werden können, ist breit gefächert und bisweilen etwas undurchsichtig. Es reicht von rechtskonservativen Monatsmagazinen wie ‚Tichys Einblick‘ über (pro-)russische und querfrontlerische Medienportale wie ‚Sputniknews‘ oder ‚RT Deutsch‘ bis hin zu esoterisch und verschwörungstheoretisch ausgerichteten Verlagen wie dem Kopp-Verlag. Häufig verbindet sie neben den neurechten Allgemeinplätzen weniger die konkrete inhaltliche Ausrichtung als vielmehr ihr Publikum bzw. ihre Leser_innen.

Eines der Medien, das in dieser Hinsicht zunehmenden Erfolg und Aufmerksamkeit verbuchen kann, ist Jürgen Elsässers ‚COMPACT‘ mit zugehörigem Internetportal. Das selbsternannte ‚Magazin für Souveränität‘ mit monatlich rund 40.000 verkauften Exemplaren ist ausdrücklich prorussisch ausgerichtet und bedient dabei sowohl Querfront-Ambitionen als auch antisemitisch unterfütterte Verschwörungsmythen.

Daneben organisiert der kleine Kreis um Elsässer auch eigene Vortragsveranstaltungen und eine jährliche Konferenz, zu der immer wieder Vertreter des Instituts für Staatspolitik, der Identitären Bewegung und der Alternative für Deutschland als Redner geladen sind. Für die AfD richtete Compact anlässlich der Wahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern eigene Wahlstudios ein und übertrug diese via Internet-TV. Jürgen Elsässer ist damit zu einem der wichtigen Verknüpfungspunkte der gegenwärtigen ‚Neuen Rechten‘ in Deutschland aufgestiegen.

In dieser Gemengelage am rechten Rand fristen auch zahllose Internetportale ihr Dasein. Das bekannteste davon dürfte der Blog ‚Politically Incorrect‘ (PI) sein, eine Art ‚Leitorgan‘ der islamfeindlichen Szene. Dieses Feindbild ist auch der Grund, wieso sich der 2004 gegründete Blog seit Anbeginn selbst als ‚proisraelisch‘ bezeichnet. Eine Strategie, die sich bei anderen rechtspopulistischen Organisationen und Parteien in ganz Europa ebenso beobachten lässt und sich auch in der Nähe von PI zu islamfeindlichen Kleinparteien wie der ‚Pro-Bewegung‘ widerspiegelt. Das Internetportal verzeichnet täglich eine enorme Höhe an Interaktionen und Klickzahlen, wobei inzwischen wenig eigene Inhalte und Beiträge produziert werden.

Etwas anspruchsvoller, wenngleich mit weniger Reichweite, ist da schon das Projekt ‚eigentümlich frei‘, welches versucht neurechte Ideologie und libertäres Denken miteinander zu verknüpfen.

Ein weiterer, bestens vernetzter Akteur der ‚Neuen Rechten‘, der sich selbst zwischen rechtslibertären und jungkonservativen Ideen einordnet, ist der Publizist und ehemalige Mitstreiter in Kubitscheks ‚Konservativ-Subversiver Aktion‘, Felix Menzel. Der Burschenschafter Menzel gründete, damals noch als Mitglied einer vom Verfassungsschutz Sachsen beobachteten Pennäler-Verbindung, 2004 die Jugendzeitschrift‚ Blaue Narzisse‘ (BN), die sich in erster Linie an Schüler_innen und Studierende richten sollte. 2013 eröffnete er in Dresden das ‚Zentrum für Jugend, Identität und Kultur‘, das als Redaktionssitz der BN und als Seminarraum für den Studienbetrieb konzipiert wurde. Im selben Jahr trat er als Mitorganisator der von dem Institut für Staatspolitik initiierten neurechten Messe ‚zwischentag‘ auf, 2014 übernahm er die Hauptrolle. Die Blaue Narzisse, genauer gesagt Felix Menzel, verlegt unter dem Namen ‚Anstoß‘ auch eine Schriftenreihe mit Büchern über den ‚vertagten Bürgerkrieg‘ oder den ‚Aufstand des Geistes‘ der ‚Konservativen Revolutionäre‘. Zusammen mit dem Burschenschafter Philip Stein brachte er 2014 die Schrift ‚Junges Europa. Szenarien des Umbruchs‘ heraus, in dieser schwärmen die beiden von der neofaschistischen italienischen Bewegung ‚CasaPound‘.

In diesem Geiste eines Eurofaschismus entstand das jüngste Projekt von besagtem Philip Stein, der ‚Jungeuropa-Verlag‘, in dem als erstes die Neuauflage des Buches ‚Die Unzulänglichen‘ des französischen Faschisten Pierre Drieu La Rochelle veröffentlicht wurde. Ganz aktuell übersetzte er ein Buch erstmalig auf Deutsch, das den Gründungsmythos des spanischen Faschismus, die ‚Belagerung des Alcázars von Toledo‘, feiert.

Junge Freiheit

Die Junge Freiheit ist mit ihrem Chefredakteur Dieter Stein seit 1986 einen langen Weg gegangen. Gegenwärtig gilt die inzwischen über 28.000 Exemplare pro Woche verkaufende Zeitung nicht zu Unrecht als Sprachrohr bzw. inoffizielle Parteizeitung der AfD.

Dabei pflegt sie die Unterscheidung zwischen noch konservativer und schon extrem rechter Rhetorik weniger inhaltlich zu ziehen, sondern eher als Frage von Aufmachung und Niveau. Sie sieht sich in der Geistestradition der Junkonservativen der Weimarer Republik, 1993 kreierte sie dementsprechend den Werbeslogan „Jedes Abo eine konservative Revolution“.

Die Bedeutung der Jungen Freiheit auch für die aktuelle Generation der ‚Neuen Rechten‘ wird dadurch deutlich, dass nahezu alle bekannten derzeitigen Autor_innen aus diesem Spektrum irgendwann einmal für die Zeitung geschrieben haben oder dies bis heute tun. Zu einem Bruch zwischen den Weggefährten Dieter Stein, Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek sollte es allerdings ab dem Jahr 2013 kommen. Der Mitbegründer Weißmann verließ in diesem Zuge das Institut für Staatspolitik und arbeitete fortan nur noch für die Junge Freiheit.

Institut für Staatspolitik

Das Institut für Staatspolitik steht seit seiner Gründung durch Weißmann und Kubitschek als Einrichtung von und für die selbsternannte rechtsintellektuelle Elite. In der neurechten Landschaft sieht sie sich als zentrale Forschungs- und Bildungseinrichtung sowie Vernetzungsstruktur mit dem Ziel, eine kulturelle Hegemonie zu erreichen. Damit verbunden ist eine metapolitische Orientierung, also der Fokus auf die Arbeit im vorpolitischen Raum, in der Tradition der französischen ‚Neuen Rechten‘.

Dafür ist nicht zuletzt der parallel mit dem Institut, damals noch unter dem Namen ‚Edition Antaios‘, eröffnete ‚Verlag Antaios‘ zuständig, in dem laut eigener Aussage bis dato rund 150 Bücher unterschiedlicher Autor_innen (genauer gesagt: mit Ellen Kositza nur eine Autorin) selber verlegt wurden. Das Spektrum reicht dabei von Wegbereitern der ‚Neuen Rechten‘ aus vergangenen Jahrzehnten, wie Armin Mohler und Ernst Nolte, über ideologische Vorbilder aus dem europäischen Ausland, wie Renaud Camus und Jean Raspail, bis hin zu jüngeren Aktiven der Szene, wie Felix Menzel und Martin Lichtmesz oder den ‚Identitären‘ Martin Sellner und Mario Müller.

Zweites wichtiges Standbein des Instituts ist die seit 2003 zunächst vierteljährlich, inzwischen zweimonatlich erscheinende Zeitschrift ‚Sezession‘, ab dem Jahr 2010 auch mit dazugehörigem Blog ‚Sezession im Netz‘. Die Auflagenstärke ist im Vergleich zu anderen vorgestellten Wochen- und Monatsperiodika mit 3.000 (davon 2.400 verkauften) Exemplaren moderat, entscheidender für ihre Rolle ist allerdings die Binnenwirkung innerhalb der Szene. Die Zeitschrift dient regelmäßig der Themensetzung über den Kreis ihrer Leser_innenschaft hinaus.

Das dritte Aktionsfeld des IfS ist die Organisation von Tagungen und Kongressen. Neben den regelmäßigen Sommer- und Winterakademien am Instituts- und Verlagssitz in Schnellroda, wo Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza ein Rittergut besitzen, versuchte Kubitschek auch den sogenannten ‚zwischentag‘ als jährliches Vernetzungstreffen zu etablieren. Nach den ersten Ausgaben der Messe, auf denen auch zahlreiche Verlage, Organisationen und Politiker der extremen Rechten aus dem In- und Ausland gastierten, war damit – auch aufgrund zunehmender antifaschistischer Proteste – 2015 jedoch vorläufig wieder Schluss. Seine Fortsetzung fand der ‚zwischentag‘ 2016 in vergleichbarer Form als ‚Verteidiger Europas‘-Kongress in Linz, veranstaltet durch die österreichischen Partnerorganisationen.

Der Hauptakteur rund um das Institut für Staatspolitik ist jedoch spätestens seit dem Weggang Weißmanns ohne Frage Götz Kubitschek. Trotz aller Bekenntnis zur Metapolitik verstand sich Kubitschek auch immer als Aktivist. Dies begann bei seiner Inszenierung der ‚Konservativ-Subversiven-Aktion‘ 2007, führte über den Besuch des zeitweilig größten neonazistischen Gedenkmarsches Europas in Dresden 2010 und bringt ihn derzeit zu wiederholten Reden bei COMPACT-Veranstaltungen und PEGIDA-Demonstrationen.

Zudem unterstützte er massiv die rechten ‚Bürgerproteste‘ gegen die Unterbringung von Geflüchteten und leitete diese offen zum ‚Widerstand‘ an. Zur organisatorischen Stärkung dieser Proteste rief er in diesem Zuge zusammen mit u.a. Jürgen Elsässer und Hans-Thomas Tillschneider von der AfD das Projekt ‚Ein Prozent für unser Land‘ ins Leben. Die (elitäre) Idee dahinter ist, dass nur ein Prozent der Menschen in Deutschland genügen würden, um die Politik grundlegend zu verändern. Unter der Leitung von Philip Stein soll rechter Protest vernetzt und finanziell wie logistisch unterstützt werden. Konkret äußert sich das aktuell beispielsweise an Wahlbeobachtungskampagnen für die AfD sowie dem Aufbau eines rechten Hausprojekts im Univiertel in Halle/Saale zusammen mit der neofaschistischen Gruppe ‚Kontrakultur‘, einem lokalen Ableger der ‚Identitären Bewegung‘.

Burschenschaften

Die Nähe zur Idee von studentischen Verbindungen ist dabei kein Zufall. Tatsächlich wurden sowohl Dieter Stein, als auch Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek in elitären ‚Deutschen Gildenschaften‘ sozialisiert, daneben ist vor allem der Dachverband ‚Deutsche Burschenschaft‘ (DB) bis heute von großer Bedeutung. Berührungspunkte bestehen bereits länger: Schon in den 1980ern luden DB-Burschenschaften zentrale Vertreter der ‚Neuen Rechten‘, wie Henning Eichberg, Alain de Benoist und Pierre Krebs wiederholt auf ihre Häuser und ließen sich ideologisch schulen.

Rund 30 Jahre später ergibt sich ein ähnliches Bild. Bei den Feierlichkeiten anlässlich des 200. Jubiläums der Gründung der Urburschenschaft referierte Götz Kubitschek vor der Deutschen Burschenschaft über das „dreifache Gesellschaftsexperiment“. Der Große Austausch durch Masseneinwanderung, die Aushöhlung aller Werte und Normen durch ‚gender mainstreaming‘ und ‚political correctness‘ sowie die Verweigerung der Souveränität des Volkes.

Exemplarisch für die personelle Übereinstimmungen der Korporationen mit der ‚Neuen Rechten‘ steht Philip Stein, Mitglied der ‚Marburger Burschenschaft Germania‘, Pressesprecher der Deutschen Burschenschaft, Autor der Sezession und Blauen Narzisse, Gründer des Jungeuropa-Verlags sowie Leiter des neurechten Vernetzungsprojekts ‚Ein Prozent‘.

Auch hier in Braunschweig existieren diese Überschneidungen aus dem Spektrum von rechten Burschenschaften, der ‚Jungen Alternative‘, den ‚Identitären‘ bis hin zu Kreisen der NPD-Jugend, wie nicht zuletzt der ‚Deutschlandtag‘ der DB-Burschenschaft ‚Thuringia‘ in Juli zeigte.

Identitäre Bewegung

Besagte ‚Identitäre Bewegung‘ (IB) ist eins der wohl zur Zeit medial am Stärksten beachteten Phänomene der ‚Neuen Rechten‘, was nicht zuletzt in ihrer Strategie begründet ist, öffentlichkeitswirksamen Aktivismus in moderner Aufmachung zu verkörpern. Dementsprechend ist auch ihr Altersdurchschnitt deutlich geringer als in allen anderen neurechten Segmenten und ihre Ausrichtung eher an der Praxis orientiert.

Die IB versucht sich als offene, friedliche, breite ‚patriotische‘ Sammelbewegung darzustellen, der Blick auf die tatsächlich aktiven Gruppierungen in Österreich und Deutschland zeigt jedoch ein deutlich anderes Bild: Es handelt sich fast ausschließlich um junge Männer (und einige wenige Frauen) mit zumeist universitärem Hintergrund, viele davon aus studentischen Verbindungen und/oder aus (extrem) rechten Jugendorganisationen, die in der Vergangenheit bereits durch Gewalttaten gegen Linke und Migrant_innen aufgefallen sind. Die Orts- und Regionalgruppen sind streng hierarchisch aufgebaut, eine kleine Anzahl an bundes- und europaweit vernetzten Kadern bestimmen die Ausrichtung und Außendarstellung.

Vor allem mit dem Kreis um Kubitschek sowie dem Institut für Staatspolitik gibt es regen Austausch. Die bekannteste Führungsperson der IB im deutschsprachigen Raum, der Österreicher Martin Sellner, selbst ist regelmäßiger Gast in Schnellroda, schreibt für die Sezession und ist Redner bei IfS-Veranstaltungen, sowie bei Compact und PEGIDA.

Als Alleinstellungsmerkmal können neben ihrem vergleichsweisen jungen Alter, sowie ihrem an ‚linken‘ Aktionsformen und rechten Vorbildern der neofaschistischen CasaPound orientierten Aktionismus, noch die popkulturellen Bezüge und ihre strikt beachtete ‚Corporate Identity‘ gelten. Auch die exzessive Verbreitung ihrer Propaganda über alle Kanäle der sozialen Medien durch Blogs, Videos und Podcasts unterscheidet sie von vielen übrigen Organisationen der ‚Neuen Rechten‘. Mit dieser modernen Aufmachung können ihre Inhalte jedoch kaum mithalten:

Trotz wiederholter Distanzierungsversuche liegt die Verortung der Identitären im rechtsextremen Spektrum […]. Für sie sind ‚Volk‘ und ‚Kultur‘ zentrale Bezugsgrößen, hinter ihrem Ethnopluralismus steckt die Propagierung der Ausgrenzung von allen, die als ‚fremd‘ definiert werden. Die Identitären stehen für Antimarxismus, Antiliberalismus, Antipluralismus.“ (Bruns, Glösel, Strobl 2014: 222).

Im zweiten Teil in der nächsten Ausgabe sollen diese ideologischen Versatzstücke und prägenden „neurechten“ Diskurse genauer unter die Lupe genommen werden.


Zum Weiterlesen

  • Bruns, Julian; Glösel, Kathrin; Strobl, Natascha (2014): Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa.
  • Kämper, Gabriele (2005): Die männliche Nation. Politische Rhetorik der Neuen intellektuellen Rechten.
  • Weiß, Volker (2017): Die autoritäre Revolte: Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes.