Redebeitrag am Feministischen Kampftag 2023 in Braunschweig

Wir waren wieder mit vielen Mitstreiter:innen am 8. März, dem feministischen Kampftag, in Braunschweig auf der Straße. Hier unser Redebeitrag in voller Länge:

“Wieder ein Jahr vorbei, wieder der feministische Kampftag, wieder stehen wir am Hagenmarkt.

Viele starke Aktivist:innen und Genoss:innen haben in den vergangenen Jahrhunderten gegen das Patriarchat gekämpft. Stabile Frauen wie Clara Zetkin, Rosa Luxemburg und Minna Faßhauer sind bedeutend für die kommunistische Bewegung. Und für ihre Errungenschaften sind wir dankbar. Und doch fragen wir uns erneut, wie es sein kann, dass wir jedes Jahr wieder dieselben Dinge fordern müssen.

Eben weil das so ist, weil wir seit Jahren dasselbe fordern, wiederholen wir unsere eigenen Worte, bis sie gehört werden. Vieles davon mag euch bekannt vorkommen, weil ihr es kennt – doch es wird immer wieder als moralisierend und emotional abgetan. Allein das ist der Beweis dafür, dass unsere Forderungen nicht an Aktualität verloren haben.

Unsere Appelle sind die gleichen und das scheiß ausbeuterische System ist auch immer noch dasselbe. Und eben weil das so ist, weil wir seit Jahren das selbe fordern und für das gleiche kämpfen, wiederholen wir hier tatsächlich unsere eigenen Worte gebetsmühlenartig! Bis wir in einer Welt ohne Kapitalismus, in einer Welt ohne Patriarchat leben!

Dies erfordert einen Feminismus, der das System als Ganzes sieht und bekämpft, ein System, das den Menschen der Arbeiter:innenklasse und den Unterdrückten ihre Grundrechte verweigert. Es verlangt einen Feminismus, der nicht nur von einer besseren Welt träumt, einer Welt der Freiheit und Gleichheit, sondern sich aktiv für diese Zukunft organisiert, die nur durch die Abschaffung des Kapitalismus erreicht werden kann.

Denn im Gegensatz dazu hat das Versprechen des neoliberalen Feminismus Frauen, LGBTIQ+-Menschen, Menschen mit Behinderungen, BIPOC oder anderen unterdrückten Gruppen nichts zu bieten. Der “Girl-Boss”-Feminismus von Frauen in sogenannten Machtpositionen ist eine Einbahnstraße, die dazu dient, die fortgesetzte Ausbeutung und Unterdrückung von Hunderten von Millionen Menschen auf der ganzen Welt zu rechtfertigen.

Dieser “feel-good” Feminismus verzerrt die Befreiung dahingehend, dass er für einige wenige mehr einen Platz an der Spitze bedeutet; Platz, um an der alltäglichen Gewalt dieses imperialistischen kapitalistischen Systems teilzuhaben und es in einigen Fällen sogar anzuführen. Er füttert uns mit der Lüge, dass man “die gläserne Decke durchbrechen”, “die Spitze diversifizieren” könne – doch wir wollen nicht auch einfach ausbeuten oder dem neoliberalen Feminismus folgend repräsentiert werden, oder gar einen Platz am Tisch dieses unterdrückerischen Systems zugesprochen bekommen. Unsere kollektive Befreiung bedeutet die Zerstörung dieses Tisches!

Um unsere politische Vision von emanzipatorischen Kämpfen greifbarer zu machen, müssen wir unseren Blick schärfen, auf globale Kämpfe aufmerksam machen und uns mit ihren Bewegungen verbinden: Denn wir stehen Hand in Hand und Seite an Seite mit den Frauen unter dem terroristischen Mullahregime der iranischen Republik, mit den Frauen die gegen die Taliban in Afghanistan kämpfen, in Kurdistan, wo Frauen gegen den IS oder den türkischen Faschismus vorgehen oder den Feminist:innen in Südamerika – und zeigen entschlossen über Grenzen hinweg, dass wenn ihr uns eine nehmt – wir alle antworten.

Diese Angriffe erfordern einen organisierten Widerstand und eine strategische Verteidigung. Wir haben die Möglichkeit, den “Betriebsablauf zu stören und lahmzulegen” – und das nicht nur auf der Straße, sondern auch an unseren Arbeitsplätzen. An dieser Stelle wollen wir uns stark machen für Streiks jeglicher Art und stehen solidarisch mit allen streikenden Arbeitenden, die für eine substanzielle Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen – ein kleiner Gruß Richtung Frankreich und der zweiten Runde der großen Warnstreiks und den aktuell laufenden Streiks des Öffentlichen Dienstes!
Denn auch wir als organisierte Frauen sind in der Lage, die gesamte Wirtschaft für die Rechte der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten lahmzulegen, und diese Macht müssen wir uns in Formen des Streiks zunutze machen.

Eine emanzipatorische und feministische Praxis kann nur dann zielführend sein und ihr volles Potential entfalten, wenn wir die kapitalistische Verwertungslogik hinter uns lassen und gemeinsam für eine befreite Gesellschaft kämpfen!

Mit der gleichen Sturheit, mit der aktuell immer weiter Kohle abgebaggert wird, an den europäischen Außengrenzen Menschen sterben, die Preise angezogen und die Löhne gedrückt werden, soziale Proteste diffamiert und FLINTA systematisch unterdrückt werden – mit genau der gleichen Verbissenheit gilt es, weiterzumachen, genauer hinzusehen, nachzufragen, Menschen in ihren Kämpfen zu verbinden, diese sichtbar zu machen – und vor allem sich in Zeiten dieses ausbeuterischen kräftezehrenden Wahnsinns nicht kirre machen zu lassen!

Deshalb müssen wir uns organisieren. Um diese Kämpfe in unseren Gruppen, in unserem Alltag und auch in unserem Freundeskreis zu führen. Doch auch in linken Strukturen zeigt sich das Patriarchat nicht erst seit #punktoo und #linkemetoo von seiner hässlichsten Seite.

Wir müssen uns heute noch oft beweisen und sehen viel zu deutlich, wer die Care und Reproduktions-Arbeit in unseren Gruppen leistet, diese unsichtbar im Hintergrund stemmt und und wessen Stimme dann selten Gehör findet, wessen Redebeiträge nochmal lauter von einem Mann wiederholt werden und erst dann auch gehört werden.
Feministisch kämpfen bedeutet für uns, auch in einer unangenehmen Weise auf problematische sexistische Verhältnisse aufmerksam zu machen, diese kritisch zu hinterfragen und zu überwinden.

Daher kann der Apell an unserer Genossen nur lauten: Liebe Genossen, reflektiert euch und do better! Ohne uns werdet ihr nichts enteignen! Wer Feminismus sagt und dann strukturelle sowie persönliche Benachteiligung nicht erkennt – wer Verbündeter sein will, aber dann FLINTA gegenüber übergriffig ist – wer von safe spaces spricht, aber Personen misgendert – der ist kein Genosse!

Aber auch wir sind davon nicht frei: Weibliche Sozialisation zeigt sich im Kapitalismus u.a. in Konkurrenzdenken, Vereinzelung und verinnerlichtem Frauenhass unter Freundinnen und Genossinnen. Es liegt an uns, diese Muster aufzubrechen, eine Schwesternschaft zu bilden und das System aus den Angeln zu heben.

Deshalb lasst uns den heutigen Tag nutzen, um deutlich zu machen, dass wir uns organisieren müssen, um gemeinsam Schulter an Schulter für eine Welt ohne Kapitalismus und Patriachat zu kämpfen.

Diesen Kampf müssen wir alle gemeinsam führen! Und zwar am besten das ganze Jahr über, damit nicht nur an dem heutigen Tag das Gute gefeiert und ein winziges Stück vom Kuchen gegessen wird. Denn weiterhin lautet unsere zentrale Forderung: „wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Konditorei!”
Genoss:innen, organisiert euch: Für ein schönes, selbstbestimmtes Leben für alle, jenseits von Faschismus, Patriarchat und Kapitalismus!

Kein Feminismus ohne Klassenkampf!
Kein Klassenkampf ohne Feminismus!”