Redebeitrag zum Internationalen Feministischen Kampftag 2022

Anlässlich des internationalen feministischen Kampftages am 8. März 2022 in Braunschweig demonstrierten nach Aufruf des “Feministischen Bündnis” rund 600 Menschen durch die Innenstadt.
Wir steuerten einen Redebeitrag gegen Patriarchat, Kapital & Nation und für die befreite Gesellschaft bei, den ihr hier komplett nachlesen könnt:

Liebe Feminist:innen, liebe Genoss:innen,

wir sind froh, dass ihr so zahlreich erschienen seid und wir alle gemeinsam hier versammelt sind, um uns den uns zustehenden Raum zu nehmen. Doch gleichzeitig sind wir auch wütend! Wütend, dass uns dieser Raum noch viel zu oft verwehrt wird. Und im Endeffekt sind wir genau deshalb heute hier auf der Straße: Um im Jahre 2022 immer noch gemeinsam auf die Dringlichkeit internationaler, emanzipatorischer und feministischer Kämpfe aufmerksam zu machen! Das gilt nicht nur für den 8. März, sondern auch an jedem verdammten anderen Tag des Jahres!

Über die letzten Jahrzehnte konnten viele Errungenschaften auf das Konto der geschlechtlichen Gleichberechtigung und Frauenemanzipation verbucht werden. Doch egal, ob wir auf das Frauenwahlrecht, die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz, die nun geplante Abschaffung des Paragraphen 219a oder die Einführung des Selbstbestimmungsgesetz anstelle des Transsexuellengesetzes schauen: nicht der Staat hat diese Rechte „erfunden“, oder uns diese gebilligt. All diesen Veränderungen gehen langwierige feministische Kämpfe voraus und sind Ergebnisse realpolitischer Forderungen. Sie sind sicher keine gutmütige Gabe der Herrschenden, sondern wurden hart von arbeitenden Bewegungen erkämpft!

Doch das ist kein Grund zum Feiern, sich selbstgefällig auf die Schulter zu klopfen und zu den bisherigen Erfolgen zu gratulieren: Denn noch immer werden FLINTA* – also Frauen, Lesben, Inter, Non-Binäre, Trans- und Agender Personen- gedemütigt, vergewaltigt, ausgebeutet und fallen Femiziden und häuslicher Gewalt zum Opfer. Arbeitsmigrant:innen werden illegalisiert und doppelt finanziell und sexuell ausgebeutet.
FLINTA* sind oftmals diejenigen, die durch die Dynamisierung des Niedriglohnsektors infolge der Neoliberalisierung des Kapitalismus in prekären Beschäftigungen landen., dadurch im Vergleich deutlich schlechter entlohnt werden als ihre männliche Kollegen, parallel dazu noch doppelt soviel unbezahlte Sorge- und Hausarbeit leisten müssen – kein Wunder also, dass FLINTA* überdurchschnittlich häufig von Altersarmut betroffen sind.
An diesem Punkt wird der Zusammenhang von Beziehungen und finanzieller Absicherung deutlich: Die männliche Macht über FLINTA* wird durch die monetäre Besserstellung zementiert, da durch die prekären Lebensverhältnisse das Risiko der finanziellen Abhängigkeit steigt.

Und während FLINTA* deshalb eh schon weniger verdienen, entfällt auf sie auch noch die un- bzw. schlecht bezahlte Care-Arbeit – also die emotionale Fürsorge, Haushaltsführung, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen -, welche im Endeffekt eine der tragenden Säulen der kapitalistischen Ausbeutung darstellt. Dank der Frauenemanzipation der 60er Jahre wurden FLINTA* in den Arbeitsmarkt integriert, die Aufhebung der alleinigen Zuständigkeit von Hausarbeit blieb allerdings aus – eine Entwicklung zur sich weiter verstärkenden sozialen Ungleichheit zwischen Männern und FLINTA*, die somit auch die doppelte Wucht an Belastung und Ausbeutung mit sich trägt.

In dem heutzutage vorherrschenden antiquierten Kleinfamilienidyll – sprich Vater, Mutter und Kinder – scheint ausschließlich die heteronormative Beziehung schützenswert. Alternative oder nicht monogame Beziehungsmodelle, gleichgeschlechtliche Liebe, kinderlose Paare oder sogar glückliche Singles sind dem Kapitalismus nicht förderlich. Das zeigt sich auch darin, dass in diesem Modell strikt binär gedacht wird und damit Lesben, Inter*, Nichtbinäre und transpersonen ignoriert werden. Dabei leiden diese Menschen ebenso, wenn nicht mehr, im alltäglichen kapitalistischen Normalzustand.

Und FLINTA*! Diese Strukturen müssen wir angreifen! Denn das Patriarchat ist schlussendlich nur Teil des ausbeuterischen Herrschaftgefüges. Eine getrennte Sicht auf dessen Aspekte ist fehl am Platz: feministische Bewegung, Klassenkampf, Ökologie und Antirassismus sollten eben nicht voneinander getrennt betrachtet, sondern gesamtheitlich als feministischer Klassenkampf begriffen werden. Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung werden gesellschaftlich ebenso strukturell unsichtbar gemacht, wie sexualisierte Gewalt oder sexistisches Verhalten im Alltag, und die dahinter liegenden Denk- und Verhaltensmuster.

Das sind Verhältnisse, die wir nicht hinnehmen wollen und auch nicht hinnehmen werden! Und zeitgleich wollen wir zeigen, dass wir uns nicht mit oberflächlichen Ansätzen, white feel good feminism oder gar individualistisch entpolitisiertem Self-Care als Antwort auf diese patriarchalen Zustände zufrieden geben! Es sollte deshalb darum gehen jene historisch gewachsenen Herrschaftsstrukturen offenzulegen und gemeinsam solidarisch gegen sie vorzugehen.

Denn um die politische Vision des Kampfes nochmal greifbarer zu machen, dürfen wir niemals vergessen, dass der feministische Kampftag auf Kommunist:innen wie beispielsweise Clara Zetkin zurückgeht. Auch heute gilt die Devise wie damals: wir wollen nicht auch einfach ausbeuten oder dem neoliberalen Feminismus folgend repräsentiert werden, oder gar einen Platz am Tisch dieses unterdrückerischen Systems zugesprochen bekommen. Unsere kollektive Befreiung bedeutet die Zerstörung dieses Tisches!
Lasst uns gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und für gleichberechtigte kollektive Lösungsansätzen von Lebensentwürfen! Lasst uns und andere bilden, streiten und in der praxis voneinander lernen. Für eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus, in der alle haben, was sie wollen und brauchen, und alle ohne Angst verschieden sein können.

Eine emanzipatorische und feministische Praxis kann nur dann zielführend sein und ihr volles Potential entfalten, wenn wir die kapitalistische Verwertungslogik hinter uns lassen und gemeinsam für eine befreite Gesellschaft kämpfen!

Und deshalb muss es heißen: kein Feminismus ohne Klassenkampf! Kein Klassenkampf ohne Feminismus!
Genoss:innen, organisiert euch: Für ein schönes, selbstbestimmtes Leben für alle, jenseits von Faschismus, Patriarchat und Kapitalismus!