Redebeitrag auf Demo zum Internationalen Feministischen Kampftag 2021

Anlässlich des internationalen feministischen Kampftages zogen bereits gestern in Braunschweig nach Aufruf des “Feministischen Bündnis” etwa 400 Menschen durch die Innenstadt.
Wir steuerten einen Redebeitrag gegen Patriarchat, Kapital & Nation und für die befreite Gesellschaft bei, den ihr hier in Gänze nachlesen könnt:

“Liebe Feminist:innen, liebe Mitstreiter:innen, liebe Genoss:innen!

Die Corona Pandemie begleitet unser Leben nun schon seit mehr als einem Jahr. Das bedeutet ein Jahr reduzierter Sozialkontakte, ein Jahr erheblicher Einschränkungen im zumeist privaten Raum.
Während viele Arbeiter*innen weiterhin tagtäglich sich auf den Weg ins Büro oder den Betrieb machen, Kleinunternehmen, Selbstständige und Kulturschaffende um die finanzielle Existenz bangen, erhielten Großkonzerne Milliarden Überbrückungshilfen oder verzeichneten trotz Pandemie Rekordgewinne und enorm hohe Dividenden.
Wenn Corona uns also eins zeigt, dann dass zwar gewissermaßen alle im gleichen Boot sitzen… nur eben nicht alle rudern müssen!

Die Pandemie verstärkt bereits existierende Ungleichheiten. Menschen, die schon vor der Krise in prekären Verhältnissen lebten oder Diskriminierung ausgesetzt waren, sind nun noch stärker von den Umständen betroffen. So eben auch FLINT* Personen.
Rund zwei Drittel der sozialen, oftmals systemrelevanten, Berufe werden von FLINT* Personen ausgeübt, welche aktuell nicht nur ein hohes Maß an Mehrarbeit leisten, sondern sich auch einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sehen. Während das privatisierte und kaputtgesparte Gesundheitswesen und die nicht vorhandenen Strukturen in Bereichen wie der Pflege und der Kinderbetreuung, das Verfehlen unseres Systems offenlegen, wurden eben jene Menschen mit einem allabendlichen Klatschen, statt wenigstens einer fairen Entlohnung abgespeist. Aus aktuellem Anlass reicht ein Blick auf die verhinderte Einführung von flächendeckenden Tarifverträgen in der Altenpflege. Der Caritas und ihrer Trägerin, der katholischen Kirche, sei Dank!

Doch unterbezahlte FLINT* sind kein Novum, genauso wenig wie Geschlechterzuschreibungen. Denn abermals rutscht die Gesellschaft in vermeintlich überwunden geglaubte Rollenbilder. Um kapitalistische Profitanhäufungen zu gewährleisten, bedarf es der Produktions-, wie auch der Reproduktionsarbeit. Bei dem in unserer Gesellschaft vorherrschenden Bild der heteronormativen Kleinfamilie, fällt die Familiensorge und Haushaltsbewältigung oftmals FLINT* Personen zu.
Dies resultiert für FLINT* entweder in eine Doppelbelastung aus Lohn- und Care-Arbeit, oder erfüllt in einem reaktionären Zweigeschlechtersystem, die klassische Vorstellung des “männlichen Hauptverdieners”, während sich die “Frau” um emotionale Sorge, Haushalt und Kinder kümmert. Durch die Corona-bedingten Schulschließungen und das staatliche Versagen, wenn es um Digitalisierung und Hygienekonzepte geht, kommt an dieser Stelle auch noch die Bildungsarbeit hinzu. Ob diese Mehrarbeit jedoch geleistet werden kann, steht anscheinend gar nicht zur Debatte. Vielmehr findet eine Form der Retraditionalisierung statt, die so manch emanzipatorischen Errungenschaften wieder obsolet erscheinen lässt. Die Rollen der heteronormativen Kleinfamilie sind klar verteilt und das bürgerliche Ideal scheint erreicht. Vielfältige und plurale Lebensentwürfe werden gar nicht erst mitgedacht.

Dies stellt auch für völkische und antifeministische Milieus den geeigneten Nährboden dar. Sie propagieren ebenfalls ein binäres Geschlechterverhältnis und deklarieren die heterosexuelle Beziehung als eine der “natürlichen Ordnung” entsprechende Norm. Rechte und nationalistische Strukturen versuchen so ein Wertesystem, eine Hierarchisierung der Geschlechter, zu etablieren. Gebärfähige Menschen werden dabei auf ihre Reproduktionsfähigkeit reduziert und im Folgeschluss als weniger wertig abgestuft.
Dass dieses Verständnis des “Natürlichen” jedoch keine universelle Gegebenheit, sondern ein gesellschaftlich verhandeltes Konstrukt ist, welches sich einem steten Wandel ausgesetzt sieht und folglich als längst überholt gilt, wird dabei außer Acht gelassen. Das Festhalten an reaktionären Verhältnissen und Idealen, stellt das Gegenteil einer freien und emanzipierten Gesellschaft dar!

Diese Reduzierung eines Teils der Bevölkerung auf dessen Gebärfähigkeit, findet sich jedoch nicht nur in rechten Milieus. Auch in der neoliberalen und kapitalistischen Verwertungslogik wird eben jenen gebärfähigen Menschen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung abgesprochen. Und so sind hier Schwangerschaftsabbrüche per se immer noch illegal und Ärzt*innen werden kriminalisiert, wenn sie über deren Durchführung aufklären wollen.
In Polen, wo vor kurzem ein Gesetz erlassen wurde, welches Abtreibungen weiter illegalisiert, gehen regelmäßig Menschen auf die Straße, um sich gegen das verschärfte Abtreibungsverbot zu wehren. Das neue Gesetz beinhaltet unter anderem auch ein Verbot des Schwangerschaftabbruchs bei schwer fehlgebildeten Föten, deren Überleben nicht gesichert ist. Wir stellen uns daher mit unseren Mitstreiter*innen in Polen solidarisch und fordern auch hier eine Abschaffung der Paragraphen 218 und 219a!

Denn feministische Kämpfe müssen weiterhin geführt werden! Sie sind Ausdruck einer konsequent emanzipatorischen Praxis, die systemische Strukturen hinterfragt, kapitalistische Zusammenhänge ablehnt und für ein solidarisches Miteinander, statt Vereinzelung steht. Daher muss jeder Tag auch feministischer Kampftag sein!
Es reicht uns nicht einmal im Jahr eine Rose geschenkt zu bekommen. Was wir wollen ist ein intersektionaler, queerer, antirassistischer und antikapitalistischer Feminismus! Eine Gesellschaft frei von Zwängen und patriarchalen Strukturen! Und dafür gehen wir heute auf die Straße und dafür kämpfen wir auch an jedem anderen Tag des Jahres!

Gegen Patriarchat, Kapital und Nation! Für die befreite Gesellschaft!”