Rezension: Push – Für das Grundrecht auf Wohnen

[Fredrik Gerrten, mindjazz pictures, 96min.]

(aus: In/Press #6, September 2019)

Der schwedische Dokumentarfilm begleitet die UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen, Leilani Farha. Sie recherchiert für ihre Berichte in Städten wie Barcelona, Berlin, Mailand, Toronto oder London und befragt verzweifelte Mieter:innen, die horrende Mietsteigerungen hinnehmen mussten, von ihren Vermieter:innen kriminalisiert werden um eine Kündigung zu erwirken oder nach einem durch mangelnde Sanierung verursachten Hochhausbrand nur Ausweichwohnungen weit außerhalb ihres angestammten Wohnviertels zugewiesen bekommen. Expert:innen schocken mit Zahlen wie steigenden Mieten in Toronto um über 400 Prozent in den letzten 30 Jahren, während die durchschnittlichen Einkommen nur um 130 Prozent gestiegen sind. Oder den 80 Prozent leerstehenden Immobilien in ausländischem Besitz, was einige Bereiche in London zu Geistervierteln werden lässt.

Die Doku schafft es gut einen emotional mitzunehmen, was neben den verständlich vorgetragenen Fakten und der gut nachzuvollziehenden Schicksalen der Mieter:innen vor allem an der sympathischen Protagonistin Leilani Farha liegt, die unermüdlich versucht mit der Kraft des Arguments gelangweilte Politiker:innen, die während einer UN-Sitzung mit dem Smartphone spielen oder goldene Rolex-Uhren shoppen, zu überzeugen. Es werden Probleme exemplarisch aufgezeigt und so verdeutlicht, dass für das Grundrecht auf Wohnen schnell gehandelt werden muss. Allerdings zeigt der Film kaum Möglichkeiten oder Alternativen auf. Zum Ende wird lediglich ein Treffen von Bürgermeister:innen einiger europäischer Großstädte eingespielt, auf dem Handlungsoptionen besprochen werden. Leider kommen auch keine Akteure der Vermieter:innen-Seite zu Wort, die sich beispielsweise zu dem Fakt hätten äußern können, wie es sein kann, dass über 217 Billionen Dollar angehäufte globale Vermögenswerte von Immobilien mittlerweile das doppelte weltweite Bruttoinlandsprodukt betragen. Nichtsdestotrotz eine sehenswerte Dokumentation.

Die „Gegenseite“ musste sich immerhin in der anschließend folgenden Diskussion im Kinosaal des Universum Filmtheaters rechtfertigen, auch wenn die Aussagen des Vertreters des Haus & Grund Eigentümerverband Braunschweig eher Gelächter verursachten, da er sich als unschuldiger Anwalt von Kleineigentümern präsentierte, die ja mit dem ganzen bösen Zeug in der Doku nichts zu tun haben würden. In das gleiche Horn blies auch Stadtbaurat Leuer. In Braunschweig würde man verantwortungsbewusste regionale Immobilieninvestoren haben und keine großen „Haie“ wie in der Doku. Außerdem wären in den letzten Jahren total viele Sozialwohnungen neu gebaut geworden. Da halfen auch keine Hinweise aus dem Publikum, dass in der gleichen Zeit viel mehr Bindungen für Sozialwohnungen in der Stadt ausgelaufen sind. Demgegenüber wirkten die Ausführungen einer Mitarbeiterin des Instituts für Städtebau der TU Braunschweig richtig erfrischend, die keine ständigen Neubauten, sondern vor allem eine sinnvolle Bestandsentwicklung forderte, um stark steigende Mieten zu verhindern.

Deutlich wurde: Das Grundrecht auf Wohnen muss wieder stärker in den Fokus gerückt werden. Es ist unverständlich, warum es scheinbar völlig legitim ist, dass Unternehmen ganze Dörfer für den Kohleabbau umsiedeln dürfen, es aber große Empörung verursacht, wenn laut über Enteignungen von Unternehmen nachgedacht wird, die aus reinem Profitdenken gegen dieses grundsätzliche menschliche Bedürfnis verstoßen. In einem ersten Schritt muss spekulativer Wohnraumwirtschaft eine Absage erteilt werden, wobei sich selbstverständlich die Frage aufdrängt, ob dies im Kapitalismus überhaupt möglich ist.

Auch wenn wir noch keine Verhältnisse wie beispielsweise in Berlin haben, muss dieses Thema in Braunschweig verstärkt angepackt werden. In unserer Region hat es in den letzten Jahren eine der größten Mietsteigerungen deutschlandweit gegeben, günstiger Wohnraum wird immer rarer. Es wird Zeit eine Diskussion anzustoßen, wie wir in Zukunft leben wollen.