Gay* for One Day or Queer all year?

(aus: In/Press #6, September 2019)

Am 10. August fand auch dieses Jahr in Braunschweig der lokale Christopher Street Day statt, das „Sommerlochfestival“, welches bereits seit 1996 vom Verein für sexuelle Emanzipation (VSE) veranstaltet wird. Hauptveranstaltung nach 2 Wochen Workshop-, Vortrags- und Unterhaltungsprogramm ist die Demonstration durch die Stadt, welche mit 4.200 Teilnehmer*innen 2019 besser besucht denn je war.

Traditionell stehen CSDs im Spannungsfeld zwischen Politik und Party. Einerseits haben sie ihren Ursprung als jährliche Demonstration, die an die Stonewall Riots erinnern soll und Diskriminierung gegen nicht-heterosexuelle Menschen anprangert – auf der anderen Seite ist es noch immer für viele Menschen einer der wenigen Events, bei denen sie keine Sorge haben müssen für ihre sexuellen bzw. romantischen Vorlieben angegangen zu werden oder sich zumindest dafür zu rechtfertigen. Entsprechend feuchtfröhlich und karnevalesk ist der CSD auch dafür da, sich selbst zu feiern und sich – wenigstens einen Tag im Jahr – sorgenfrei so zu geben, wie man ist (oder sein möchte).

Dass der VSE dieses Jahr eher den letzten Aspekt hervorheben wollte legte das gewählte Motto „Gay* for One Day“ zumindest erstmal nahe. Sollen die Teilnehmer*innen sich auf das Feiern am CSD selbst beschränken? Eine Einladung an alle Heteros mal einen Tag schwul zu sein oder sich wenigstens so zu benehmen? Oder sollen schwule Männer das zentrale Element der Veranstaltung sein und sich andere queere Menschen nur mitgemeint fühlen? Zugegeben, dies ist schon eine sehr negative Interpretation des Mottos. Der VSE hat durch das Sternchen hinter „Gay“ und im Ankündigungstext bereits erklärt, dass es darum gehen soll am Tag des CSDs „gay“ in althergebrachter Übersetzung zu sein: fröhlich, lustig, heiter. Und dass sie sich bewusst sind, dass über dieses Motto gestritten werden kann und soll.

Dieser Vorschlag wurde vom dafür gegründeten Bündnis „Queer All Year“ angenommen und in einem offenen Brief erklärt, warum dieses Motto problematisch und unpassend ist: Es gibt mehr queere Facetten und Erfahrungen als „Gay“, die dazu tiefgehender sind, als sich diese mal für einen Tag anzueignen. Gerade im Jahr 50 nach den Stonewall Riots ist ein derart entpolitisiertes Motto auch einfach fehl am Platz.

Anders als beispielsweise in Berlin, wo sich der transgeniale* CSD vom traditionellen CSD wegen unterschiedlicher Ansichten zum Verhältnis zwischen Party, Politik und Kommerz abspaltete, distanzierte sich „Queer All Year“ aber nicht vom CSD, sondern riefen ihren Bündnisnamen als neues bzw. eigenes Motto aus, um ihre Kritik in die Veranstaltung einzubringen. Der VSE antwortete auf diese Kritik mit Verständnis und bot eine Diskussionsveranstaltung im Nachgang der Demo auf der Abschlusskundgebung an. Damit war ein offener Konflikt beigelegt.

Zur Demo selber: Wie auch die Vorjahre ging die recht lange Route durch den gesamten Innenstadtbereich. Der Demozug war zu den Vorjahren spürbar angewachsen. Neben den großen Trucks, die in gewaltiger Lautstärke Schlager- und Kirmeselektro spielten, gab es auch kleinere Wagen, die mit gemalten Transpis und einer Lautsprecherbox die Menschen zum Tanzen – oder wenigstens rhythmischem Schlendern – animierten. DJane Poisoned Cookie von der im Nexus ansässigen queeren Partyreihe „Moshing On Rainbows“ zog nicht nur eine der größten Menschenmengen des Demozuges an, sondern auch die wohl durchschnittlich jüngste. Insgesamt scheint das Durchschnittsalter der Teilnehmer*innen zu sinken und zeigt hoffentlich, dass queere Lebensentwürfe bei der Jugend weitgehend zur Normalität geworden sind. Neben queeren Vereinen und Initiativen, Parteijugenden und Hochschulgruppen ließen es sich auch die Stadt Braunschweig und einige Unternehmen nicht nehmen sich als offen und tolerant zu präsentieren. Erfreulicherweise gab es aber auch einige Schilder, die allgemeine queere Forderungen beinhalteten oder auf konkrete Missstände hinwiesen, wie etwa die Situation von queeren Menschen auf der Flucht oder unter homophoben Regimen wie Saudi-Arabien. Sehr schön!

Die Teilnehmer*innen jedenfalls hatten sichtbar Spaß und auch für die Spalier stehenden Braunschweiger Bürger*innen gab es genug Gelegenheiten das Smartphone zu zücken: Neben den obligatorischen Drag-Queens und Kinky-Outfits gab es Regenbögen in Form von Flaggen, Shirts und Make-Up. Neben den Regenbogenflaggen kamen aber auch ordentlich Flaggen in Farben der einzelnen Teile der queeren Bewegung zum Einsatz, darunter z.B. trans*- oder asexuelle Menschen. „Queer All Year“-Logos waren auf mehreren Wagen sichtbar, prägten die Demo allerdings weit weniger als vorher angenommen. Sicherlich auch eine Folge des letztlich durchaus harmonischen und solidarisch ausgetragenen Dissens mit den Organisator*innen.

Nach einem recht langen, aber durchtanzten Demozug kehrte die Demo zu ihrem Startpunkt vor dem Schloss zurück, wo bereits die Bühne für die Abschlusskundgebung vorbereitet war. Sowohl von der inhaltlichen Ausgestaltung als auch dem Bratwurstbuden-Ambiente wie üblich jedoch nichts, was wirklich zum längeren Verweilen einlud.

Insgesamt wie immer ein sehr angenehmer Tag in recht entspannter Atmosphäre. Der Braunschweiger CSD war auch dieses Jahr „gay*“, ohne dabei jeglichen politischen Anspruch abzustreiten.


Info: Stonewall-Riots

Der Christopher Street Day trägt seinen Namen aufgrund der Christopher Street in Manhattan, New York. Dort fand in der Nacht zum 28. Juni 1969 in der Bar „Stonewall Inn“ eine Razzia der Polizei statt. Das Stonewall Inn war zu dieser Zeit ein Treffpunkt für LGBT* (LesbianGayBiTrans*) sowie auch andere Marginalisierte und damit eine der wenigen Bars, in denen offen queer gefeiert werden konnte. Somit war es gleichzeitig öfter Ziel von Repressionen der Behörden, die diese Razzien nutzten um die Gäste einzuschüchtern, zu misshandeln und aufgrund der damals noch geltenden Gesetze festzunehmen, wenn diese in nicht-geschlechtskonformer Kleidung (Drag) gekleidet waren oder Sex mit dem gleichen Geschlecht gehabt haben sollen.

An diesem Abend sammelte sich im Verlauf der Razzia eine große Menschenmenge vor der Bar und versuchte aktiv die Razzia mitsamt der Festnahmen zu verhindern. Dies mündete in tagelangen Straßenschlachten in der Nachbarschaft des Stonewall Inn und der Formierung der „Gay Pride“ oder „Gay Liberation“ Bewegung, welche die Repression und gesellschaftliche Diskriminierung nicht mehr hinnehmen wollte und das eigene queersein offen und bewusst auslebte, anstatt sich der heteronormativen Gesellschaft unterzuordnen. Sie organisierten jährliche kämpferische Demonstrationen, die an die Stonewall Riots erinnern sollen, welche bis heute – mal mehr mal weniger politisch – Bestand haben.