Am 7. und 8. Juli findet der Gipfel der G20 in Hamburg statt – er bietet die Möglichkeit eines öffentlichkeitswirksamen, antikapitalistischen Protestes und einer linken Offensive
Nachdem sich die Gruppe der 19 größten Industrienationen und die Europäische Union letztes Jahr in der chinesischen Stadt Hangzhou versammelt hatten, findet das diesjährige Treffen der G20 unter großem Aufwand und noch mehr Aufmerksamkeit in Deutschland statt.
Von autoritärem Neoliberalismus…
In neoliberaler Manier wird dann gemeinsam über Möglichkeiten zur Steigerung des Wirtschaftswachstums und den Abbau von Hindernissen, welche der globalen Verwertung und Vermehrung des Kapitals entgegenstehen, gesprochen. Hierbei ist alles gerne gesehen, was die ökonomische Ordnung mitsamt ihren Widersprüche stabilisiert und ihren Fortbestand sichern soll. Denn egal, ob es sich dabei um die Ausweitung des Warenverkehrs mithilfe von Freihandelsabkommen oder um andere, dem Erhalt des Wirtschaftssystems zuträgliche Projekte handelt: Die Absicht der G20 ist es, den Kapitalismus trotz seiner zerstörerischen Kräfte aufrechtzuerhalten und nicht, wie stets beteuert, seine dem Wohle der Menschen widersprechenden Gegensätze einzuebnen. Die Behauptung, eine sozialere Umgestaltung der Welt sei bei gleichzeitigem Erhalt der bestehenden Eigentums- und Produktionsverhältnisse möglich, kann unter diesen Umständen nur als absurd bezeichnet werden.
Denn wenn die kapitalistischen Krisenprozesse der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte und deren Verwaltung durch staatliche Regierungen sowohl in Europa als auch weltweit eines gezeigt haben, dann, dass der Profit der einen mit den Verlusten der anderen zwangsläufig verknüpft ist. Hohes Wirtschaftswachstum einzelner Staaten sagt eben nichts (gutes) über die Gerechtigkeit der nationalen und globalen Verteilung aus. Vielmehr muss festgehalten werden, dass die steigende Konzentration von Vermögen bei gleichzeitiger massenhafter Armut System hat. Ungerechte politische und ökonomische Verhältnisse innerhalb der Gesellschaften und zwischen den Nationalstaaten sind Ausdruck des kapitalistischen Konkurrenzprinzips.
Während der globale Verelendungsprozess sich also weiter verfestigt, wird demnächst in Hamburg darüber diskutiert, wie sich die dem Elend zugrundeliegenden Strukturen weiter ausbauen lassen. Die konkreten Folgen dieser Politik sind bereits heute eindeutig zu sehen: Sei es im organisierten Landgrabbing und den Spekulationen auf Nahrungsmittel, in einer weiteren Liberalisierung der internationalen Finanzarchitektur oder in der ökologischen Gefährdung durch Fracking und Kohleförderung. Der Befund ist nicht neu, muss aber dennoch immer wieder ausgesprochen werden: Eine „faire(re)“ Wirtschaftsordnung ist mit den G20 definitiv nicht zu haben.
Das alles hat seinen Preis: 65 Millionen Menschen befinden sich derzeit weltweit auf der Flucht vor Krieg, Unterdrückung, Umweltkatastrophen, Hunger und Armut – in der Hoffnung auf ein schöneres, menschenwürdiges Leben. Von größerem Interesse ist das für die Staaten und Regierungen der G20 jedoch erst, seit dem die von ihnen maßgeblich beförderte globale Ungleichheit in Form vom Asyl und Fluchtbewegungen als Resultat an die eigene Haustür klopft. Die „Bekämpfung der Fluchtursachen“ und „Partnerschaft mit Afrika“ sollen aus diesem Grund weitere Punkte auf der Agenda sein. Dabei wird aber vor allem über die Köpfe der am stärksten betroffenen Länder hinweg entschieden, es fehlt zudem fast der gesamte afrikanische Kontinent. Die Antwort der G20-Staaten, die bisher am meisten von den bestehenden Verhältnissen profitiert haben, scheint ohnehin festzustehen: Abschotten und die Folgen ignorieren.
…bis nationalistischem Autoritarismus
Neben den Vertreter*innen neoliberaler Positionen pilgert folglich auch eine bunte Mischung aus Rassist*innen, Antisemit*innen und völkischen Nationalist*innen zum Gipfel nach Hamburg, um sich auf der Bühne der „global player“ als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe zu inszenieren.
Egal ob US-Präsident Trump, der spätestens seit Beginn seiner Amtszeit vielen als plakatives Beispiel eines narzisstischen Apologeten von Nationalismus und Menschenfeindlichkeit dient, Vorzeigeunterdrücker Erdoğan, der rigoros versucht die Türkei in eine offene Diktatur zu verwandeln, oder Putin, unter dessen Regierung Homophobie und Antifeminismus zur Staatsdoktrin gehören. Die Liste nationalistisch-chauvinistischer Mitglieder ist lang.
Doch wagt man einen Blick hinter jene bekannten „Problemfälle“, wird offensichtlich: Diese reaktionären Positionen erfreuen sich längst auch wieder in vielen Teilen des vermeintlich liberal-humanistischen Europas großer Beliebtheit, wie verschärfte Asylgesetze in Deutschland oder die jüngsten Angriffe auf die weibliche Selbstbestimmung in Polen beispielhaft zeigen.
Dass die Teilnahme von Staatsoberhäuptern, denen sich solche Attribute zuschreiben lassen, niemanden der sonstigen anwesenden Politiker*innen zu stören scheint, ist zwar bezeichnend jedoch nur folgerichtig. Entweder sie teilen ähnliche Überzeugungen oder billigen zumindest aus strategischen und wirtschaftlichen Überlegungen Kooperationen mit autoritären Regimen wie der Türkei oder Saudi-Arabien. Schließlich bewähren diese sich bei der Schließung von Fluchtrouten und sind geschäftige Partner in Rüstungsdeals. Nicht zuletzt die deutsche Regierung paktiert dabei aus Eigeninteresse mit Diktatoren wie Erdoğan und unterstützt dessen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, um den über die Türkei flüchtenden Menschen den Weg nach Europa zu versperren.
Zugegeben: G20 stand noch nie für Menschenrechte und Emanzipation, aber der Mix an Teilnehmer*innen, die dieses Jahr nach Hamburg reisen, ist im negativen Sinne bemerkenswert. Vielleicht auch als Reaktion auf diesen Umstand möchten sich die Gastgebenden diesmal mitten in Hamburg betont ,,volksnah“ und dialogbereit geben.
Hegemonie gepanzert mit Zwang
Obwohl (oder gerade weil) bei dem Treffen der Regierenden maßgebliche globale Problematiken nicht als das erkannt werden was sie sind – nämlich Ausdruck des Kapitalismus und eines rassistischen, menschenverachtenden Normalzustandes – wird seitens der Veranstalter*innen die konstruktive Auseinandersetzung mit NGOs oder auch Gewerkschaften simuliert. Diese sollen als vernünftige, „legitime“ Kritiker*innen dienen und die Illusion aufrecht erhalten, dass mit etwas gutem Willen und ein paar Reformen alle Unwägbarkeiten zu überwinden seien. In diesem Zusammenhang ist auch der Verweis auf die vermeintlichen Erfolge der letzten Treffen zu verstehen. So wird sich auf der Internetseite der Veranstaltenden damit gebrüstet, dass weltweite Steuerhinterziehungen erfolgreich bekämpft und die Begrenzung der Vergütungen von Bankmanagern beschlossen worden seien. Als Kernbotschaft soll hängen bleiben: die G20 haben alles im Griff und die Zügelung des Kapitalismus funktioniert.
Völlig konträr zu dieser geheuchelten Dialogbereitschaft steht jedoch die Mobilisierung eines polizeilichen Repressionsapparates, der in seinem Umfang schlicht als Wahnsinn bezeichnet werden muss: Hubschrauber, Boote, Wasserwerfer und mehr als 10.000 Polizist*innen sollen in Stellung gebracht werden, ergänzt durch riesige Gefangenensammelstellen für Gegendemonstrant*innen und eigene Container für Staatsanwält*innen und Haftrichter*innen. Ein teures, inszeniertes Schauspiel der Macht, bei dem die in Hamburg lebenden und demonstrierenden Menschen an den Rand gedrängt werden sollen. Ziel ist es, den aus ihrer Sicht „illegitimen“ Protest zu verhindern und sichtbare, unversöhnliche Kritik an G20 und den dahinterstehenden Strukturen zu unterbinden.
Aber die Kriminalisierungsversuche zeigen eines explizit: Der entschlossene Protest auf der Straße gegen dieses Spektakel ist wichtig, besonders in Zeiten, in denen das politische Tagesgeschehen durch rechte Diskurse und den Rückbau gesellschaftlicher Errungenschaften bestimmt wird. Demgegenüber kann deutlich gemacht werden, dass es sehr wohl eine handlungsfähige und offensive (radikale) Linke gibt, die in der Lage dazu ist, Menschen für ihre Themen auf die Straßen zu bewegen.
Die Reichweite der G20-Proteste bietet somit die Chance, als Linke öffentlichkeitswirksam deutlich zu machen, dass eine andere Gesellschaftsordnung jenseits von Kapital, Staat und Nation nötig ist und das schöne Leben erkämpft werden muss.
Es gibt (k)einen richtigen Protest im falschen
Wenngleich der Vorwurf an dem Eventcharakter einer derartigen Mobilisierung anlässlich des Gipfels durchaus seine Berechtigung hat und (selbst)kritisch mitgedacht werden muss, sollte jedoch nicht vergessen werden: Selbstverständlich kann so ein anlassbezogener Protest nur Teil einer tiefergehenden, kritischen Auseinandersetzung mit den Ursachen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände und deren Überwindung in kontinuierlichen, nachhaltigen Kämpfen sein. Aber er bietet eben als Kristallisationspunkt auch die Möglichkeit sich ins Handgemenge zu begeben und gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft einzutreten. Zu all dem laden wir herzlich ein.
Bei gleichzeitigem Bewusstsein über Grenzen von Protestformen ist es ebenso wichtig, sich vom bürgerlichen Symbolprotest abzuheben, der nicht selten bloß nach einem fairen Kapitalismus und einer sozialen Marktwirtschaft schreit und damit dem Trugschluss, eine solche Ökonomie sei sinnvoll und machbar, in die Arme läuft.
Bedacht werden sollte überdies, dass eine Kritik, die sich ausschließlich an den Protagonist*innen des Gipfels aufhängt und in simples ,,Die da oben-Denken“ verfällt, sich in diesem Augenblick bereits selbst unterläuft und mit einer grundlegenden Kapitalismuskritik nichts mehr gemein hat.
Eine Analyse die sich dem Trugschluss hingibt, aktuelle Herrschaftsverhältnisse könnten mit einer anderen, „besseren“ Regierung einfach überwunden werden, muss zwangsläufig im System gefangen bleiben. Auch die jüngere Geschichte ist voll von Beispielen, dass sich das Kapital nicht nachhaltig „bändigen“ lässt und der Austausch regierender Parteien nicht dessen Krisen beendet. Solange der Staat als ideeller Gesamtkapitalist und Sicherer der eigenen Geschäftsgrundlage fungiert, greift jeglicher Protest zu kurz, der sich vor allem gegen konkrete Regierungsvertreter*innen richtet und versucht strukturelle Herrschaftsverhältnisse der Einfachheit halber zu personalisieren. An dieser Stelle wird schnell deutlich, warum das Thema G20 auch für Rechte und Antisemit*innen anschlussfähig ist. Denn wo es auch um die Finanzwelt geht, ist die Aufteilung in ,,böses” (raffendes/globales) und ,,gutes” (schaffendes/lokales) Kapital oft nicht weit. Der Vorwand eines antikapitalistischen Protestes wird dann dazu genutzt, um antisemitische Ressentiments zu bedienen, einfache Schuldige für die beschissenen Zustände zu benennen und damit möglichst auch noch gesellschaftlichen Anschluss zu finden.
Stattdessen sollte klar sein, dass die herrschende Ökonomie bereits bis ins innerste Bewusstsein einer*eines jeden vorgedrungen ist, und diese in all ihren Verästelungen nur durch ein kritisches, gesamtgesellschaftliches Gegenwirken entlarvt werden kann.
Aber auch bei diesem Prozess kann ein wahrnehmbarer Protest, der gesellschaftliche Gegensätze enttarnt und benennt, als Ausgangspunkt ansetzen. Die Chancen, welche der G20-Gipfel als konkreter Anlass für den weit über Deutschland hinausreichenden, antikapitalistischen und linken Protest bietet, sollten daher genutzt werden.
Gemeinsam gegen G20 – für eine Welt jenseits von Kapitalismus, Unterdrückung und Diskriminierung!
Wir sehen uns am 7. und 8. Juli in Hamburg.
[Der Text erschien im Rahmen der Broschüre des Jugendbündnis zum 1. Mai – jbbs.blogsport.de]